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Der Arzt als Fräulein von der Post


03. November 2010, 22:33
PRESSEMITTEILUNG/PRESS RELEASE

Gedanken zur Entwicklung des Arztberufes in einer Zeit der Ökonomisierung und Standardisierung von Wissen.

Das medizinische Wissen verdoppelt sich alle 7 Jahre. Der Begriff Wissen bezieht sich dabei auf Daten und Details. Die ärztliche Fortbildungspflicht soll eine Anpassung des berufstätigen Arztes an diesen Wissensfortschritt gewährleisten. Da das Fachwissen sich immer weiter differenziert und damit auch spezialisiert, und gleichzeitig im Gesundheitswesen ökonomische Zwänge wirksam werden, wird versucht durch eine Standardisierung der Therapien Leitlinien zu schaffen, die Leistungsqualität gewährleisten. Für viele Therapien gibt es inzwischen so genannte Disease-Management-Programme (DMP), in denen ein standardisiertes Vorgehen in der Therapie der jeweiligen Krankheit festgelegt ist. In diesen DMPs ist beispielsweise festgelegt, welche Laborwerte erreicht werden sollen, und bei welchen Werten welche Medikamente zum Einsatz kommen sollen, sowie der Abstand der erforderlichen Laborkontrollen. DMPs setzen einen auf naturwissenschaftlichen Untersuchungen basierenden Qualitätsstandard.

Das naturwissenschaftliche Experiment, aus dem sich naturwissenschaftliche Ergebnisse speisen, setzt auf die Herstellung identischer Ergebnisse mit identischen Methoden unter identischen Bedingungen, ähnlich industriellen Produktionsprozessen. So gesehen ist die Standardisierung von Therapie eine Industrialisierung und Ökonomisierung ärztlichen Handelns auf Basis der Annahme, dass die gleiche Therapie gleiche Ergebnisse bringt. Identische Bedingungen kann es allerdings nicht geben, da Menschen individuell und komplex sind. Ein guter Arzt wird neben seinem expliziten Wissen über Fakten und Therapiestandards weiterhin das implizite Wissen, das er aufgrund all seiner ärztlichen Erfahrung in sich trägt, nutzen und so möglichst gut die individuellen Bedingungen jedes einzelnen Kranken berücksichtigen. Standards und Leitlinien als Orientierung in einer komplexen Sachlage, Therapiefreiheit (und freie Arztwahl für die Patienten), um der Individualität jeden einzelnen Therapiefalles gerecht zu werden.

Bezahlung nach Leistung ist die neueste Forderung in der Ökonomisierung des Gesundheitswesens. Der Arzt soll in Zukunft danach bezahlt werden, wie gut er seine Patienten den in Standards festgelegten Werten bei bestimmten Erkrankungen anpasst. Das heißt, der Arzt bekommt seine Leistung in Abhängigkeit davon honoriert, wie „gesund“ er seine Patienten macht. Noch sind Fragen ungeklärt, beispielsweise, wie die Kontrolle aussehen soll unter Gewährleistung der ärztlichen Schweigepflicht oder wie das bürokratische Procedere gemeistert werden kann. Durch diese Art der Bezahlung nach Leistung werden Ärzte degradiert zu Ausführenden von Krankheitsmanagement, das ihnen von einer Gesundheitsindustrie, die ihre ökonomischen Interessen verfolgt, diktiert wird, zu kontrollieren am messbaren Output am Patienten. So, wie früher das Fräulein von der Post für die korrekte Übermittlung von Telegrammen zuständig war, ohne etwas von der Technik zu verstehen oder mit Sender, Empfänger oder dem Inhalt der Botschaft etwas zu tun zu haben, so wird der Arzt in einer extrem komplexen Detailwissenslandschaft zum Übermittler von Therapie mit dem Ziel der möglichst korrekten Messergebnisse. Die Bezahlung nach Leistung ist kein Horror-Zukunftsszenario, sondern wird bereits vorbereitet.

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