Wenn er mit seinem Motorrad unterwegs ist – die Luft spürt, die Landschaft riecht – das ist einer der Momente, in denen Rainer Wahl glücklich ist. Derzeit steht seine Maschine zerlegt in der Garage in Birkenfeld und trotzdem sprudelt der 54 jährige geradezu: „Ich bin keiner, der das große Rad der Geschichte dreht – kein Politiker, kein Künstler. Aber ich habe etwas, das mich überleben wird.“ Er hat vor zwei Jahren Knochenmark für einen wildfremden Jungen in Italien gespendet. Das Kind war an Leukämie erkrankt, jetzt kam die Nachricht: Der Junge lebt. Es geht ihm gut.
Rainer Wahl würde das, was er tut, nie an die große Glocke hängen. Regelmäßig Blut spenden beim DRK – das macht er aus Überzeugung, weil er es „einfach wichtig“ findet. Aus dem gleichen Grund hatte er sich 1997 bei der Stefan-Morsch-Stiftung als Stammzellspender registrieren lassen. In der Zwischenzeit hat er ein ganz normales Leben geführt: Neben der Arbeit bei Globus Idar-Oberstein, ein Haus mit dem Schwiegervater renoviert und mit Ehefrau Andrea die gemeinsame Tochter großgezogen. Alles, was zu einem Leben mit Höhen und Tiefen dazugehört. 2013 kam dann die Nachricht von Deutschlands ältester Stammzellspenderdatei, dass er mit einer Knochenmarkspende einem fremden Menschen vielleicht das Leben retten kann.
An einem Abend im Frühjahr 2013 klingelte abends das Telefon. Bettina Kleinemeier, Mitarbeiterin der Workup-Abteilung der Stefan-Morsch-Stiftung, hatte Rainer Wahl direkt an der Strippe. Die noch vage Information: „… es könnte sein, dass er als Spender in Frage kommt… aber es sind weitere Bluttests erforderlich.“ Ein paar Tage später bekommt er einen Brief der Stiftung: Er ist mit hoher Wahrscheinlichkeit der bestmögliche Spender. Über die Knochenmarkspende, bei der unter Vollnarkose sein Beckenkamm punktiert wurde, sagt er: „Ich würde es jederzeit wieder tun!“ Dann erfährt er, dass das Leben eines 13 jährigen Jungen in Italien von dieser Spende abhängt.
Mehr weiß Rainer Wahl nicht. Dennoch kreisen seine Gedanken immer wieder, um das fremde Kind – beim Schwimmen, wenn er am Liebsten ganz alleine im glatten Wasser seine Bahnen zieht. Er weiß, dass der Junge zwischen Leben und Tod stand, als er auf die Stammzelltransplantation vorbereitet wurde. Wie geht es ihm? Was machen seine Eltern alles durch? Rainer Wahl sehnt sich nach einer guten Nachricht. Die Angst, dass die Transplantation nicht geholfen haben könnte, bleibt im Hinterkopf, auch wenn man als Stammzellspender - rational gesehen - weiß, dass man alles getan hat, was in der eigenen Macht stand.
Unterdessen geht sein Leben weiter – mal auf und mal ab: Der Schwiegervater ist nicht mehr so fit wie früher. Tochter Alexandra wird bald ihr Abitur in der Tasche haben und hat – dank des Papas – auch einen Blutspenderausweis. Abends oder am Wochenende fährt er gemeinsam mit Freunden auf Tour.
Die Stefan-Morsch-Stiftung erklärt: „Ein direkter Kontakt zwischen Spender und Empfänger gibt es nur dann, wenn der Kontakt von beiden Seiten gefordert wird und die Gesetze des Landes, in dem der Empfänger lebt, es erlauben. Rainer Wahl hat direkt nach der Spende an seinen Empfänger einen Brief geschrieben, der anonymisiert an den Patienten weitergeleitet wurde. Vor wenigen Wochen dann die Nachricht – wieder über die Stefan-Morsch-Stiftung: Es geht dem Jungen gut.
Rainer Wahl ist glücklich und hofft. „Als ich so alt war, hatte ich mein erstes Moped und bin durch die Gegend gefahren!“ Eine erste Liebe hatte er mit Fünfzehn hinter sich, aber das ganze Leben vor sich. Das wünscht er sich für diesen fremden Jungen, den er gerne kennen lernen würde. „Sobald er sich meldet, würde ich runterfahren, ihn besuchen“, lacht Rainer Wahl. Er will nicht, dass sich jemand ihm verpflichtet fühlt. Der 54 jährige träumt von dieser Reise in den Süden: „Ich würde mich einfach freuen …“, sagt er und lässt den Satz in der Ferne zergehen. Ein klingt es so, als wäre er – der Spender – dankbar dafür, dass ihm das Geschenk gemacht wurde, ein Lebensretter zu sein.