Wenn die Walser des oberen Gressoney-Tals am Fuße des Monte Rosa am 24. Juni ihr traditionelles Johannisfest begehen, ist die Zuschauerschaft alljährlich groß. Einheimische und Auswärtige kommen dann in Scharen in den Nordosten der italienischen Region Aostatal, um bei der Prozession nach dem Gottesdienst die bunten Walsertrachten mit den prächtigen, goldgewirkten Radhauben zu bestaunen. Der Festzug um die Pfarrkirche in Gressoney-Saint-Jean ist der abschließende Höhepunkt der Feierlichkeiten zu Ehren Johannes des Täufers, die mit den Johannisfeuern am Vorabend (23. Juni) beginnen. Bei Musik und hellen Flammen können die Besucher dort selbstgemachte Spezialitäten am Freiluft-Buffet probieren und dabei so mancher Walser-Unterhaltung auf „Titsch“ oder „Töitschu“ lauschen.
Die beiden alemannischen Dialekte sind der deutschen Sprache in Wortschatz und Struktur sehr ähnlich – was nicht weiter verwunderlich ist, stammen doch die Walser des oberen Gressoney-Tals genau wie jene des benachbarten oberen Ayas-Tals ursprünglich aus dem schweizerischen Zermatt. Als dort im 13. Jh. die Bevölkerungsdichte immer größer, der Weideplatz fürs Vieh dagegen immer knapper wurde, kamen viele über den Theodulpass und den Monte-Moro-Pass hierher. Die beständigen Handelsbeziehungen sowie der kontinuierliche kulturelle Austausch mit den Ursprungsgebieten haben in der Folgezeit zur Verbreitung und Festigung der Dialekte und Traditionen beigetragen.
Doch ist der Einfluss der Walser im Gressoney-Tal und in der oberen Valle d’Ayas nicht nur im Brauchtum, sondern auch in der Architektur und in der Küche deutlich zu spüren. Neben den klassischen Suppen mit Brot, Kartoffeln, Reis und Lauch sollte man auf alle Fälle die beiden Gerichte „Chnolle“ und „Chnéfflene“ probieren – in Schweinebrühe gekochte und mit Wurst angerichtete Mais- und Weizenmehl-Klößchen zum einen und zum anderen kleine Teigklößchen, die in Wasser gekocht und mit Fondue, Sahne und Speck oder geschmorten Zwiebeln serviert werden.
Wer sich nach dem Feiern und Schmausen die Beine vertreten möchte, dem bieten sich hier im Schatten der Viertausender am Grenzkamm zur Schweiz die besten Möglichkeiten. Die zahlreichen Wanderwege, die sich durch das Gebiet ziehen, sind gut ausgebaut und halten sowohl für Tagesausflügler als auch für Mehrtageswanderer verschiedene Optionen bereit. Größter Beliebtheit erfreut sich der Große Walserweg, der die Valtournenche, die Valle d'Ayas und das Gressoney-Tal (gemäß dem Fluss, der hier fließt, auch Valle del Lys genannt) miteinander verbindet. Während die Walser den Weg ab dem Mittelalter auf der Suche nach neuen Siedlungsräumen nutzten, belohnt er den Wanderer heute mit interessanten Einblicken in ihre Kultur. Bestes Beispiel für die typische Bauweise sind die sogenannten „Rascard“ – raffinierte Holzkonstruktionen, deren „pilzartiger“ Sockel aus Holzpfeilern und flachen Steinen einst das oben gelagerte Getreide vor Nässe und räuberischen Nagern schützte.
Noch mehr Wissenswertes über die Walser erfährt man in Gressoney-La-Trinité, dem höchstgelegenen Ort der Talschaft. Das dortige ethnografische Museum umfasst drei Stationen: Das Bauernhaus („Puròhus“), eine typische Walser Wohnstätte aus dem 18. Jh.; das Museumshaus („Pòtzsch hus“) mit seinen regionalen Dauerausstellungen und die Almhütte („Alpelté“) im Ortsteil Binò, die unter einem natürlichen Gesteinsblock errichtet wurde, der als Dach dient.
Viele weitere Informationen zu den Tälern Valle del Lys und Valle d'Ayas, zu der Walserkultur und -geschichte, zu den vielen anderen Wandermöglichkeiten und Sehenswürdigkeiten wie z.B. dem Castel Savoia in Gressoney-Saint-Jean und natürlich zu speziellen Reiseangeboten finden Sie auf der offiziellen Homepage des Aostatals unter www.lovevda.it