Was wäre die Geschichte der Stadt Brescia ohne die Langobarden? Die wäre mit Sicherheit anders verlaufen, ohne die „Langbärte“, die Mitte des sechsten Jahrhunderts nach Norditalien vordrangen und das Machtvakuum füllten, das durch den Zerfall des antiken Römerreiches entstanden war. Unter den Eroberern aber stieg Brescia, das Brixia der Römer, schon nach kurzer Zeit zu einem bedeutenden Machtzentrum auf. Männer aus Brescia übernahmen wichtige Ämter im Langobardenreich und ein ums andere Mal konnte sich ein Herzog aus Brescia an die Spitze des Machtgefüges setzen. Als König herrschte er dann über das Langobardenreich, das sich von Norditalien bis nach Benevent in der heutigen Region Kampanien erstreckte.
Über zwei Jahrhunderte (568-774 n. Chr.) prägten die neuen Herrscher, an die noch heute der Namen der Region Lombardei erinnert, das politische und religiöse Leben in weiten Teilen des Stiefelland. Dass es sich bei den Invasoren mit den langen Bärten tatsächlich um Nachfahren jenes langbärtigen elbgermanischen Stammes handelte, den die Geschichtsschreiber des Römerreiches schon fünf Jahrhunderte als wild und unbeugsam beschrieben hatten, ist eine historische These, die bis heute nicht bewiesen aber auch nicht widerlegt werden konnte. Bevor sie den Norden des Stiefellandes eroberten hatten, soviel ist bekannt, hatten die Langobarden Gebiete an der Donau, die heute zu Osterreich und Ungarn gehören, sowie Teile des heutigen Tschechiens besiedelt.
Meister der Integration
Als neue Herren im Stiefelland schufen die Langobarden eine Kultur, die sich aus dem Ideengut verschiedener Völker und verschiedener Epochen speiste. Fähigkeiten und Wertvorstellungen, die sie aus ihrer alten Heimat kannten, fanden darin ebenso Widerhall wie das geistige Erbe des untergegangenen Römerreichs und Ideengut aus dem spätantiken Byzanz. In einer Epoche des Übergangs, die Europa von der Spätantike ins Mittelalter führte, erwiesen sich die Langobarden als Meister der Integration – was sie und ihre Zeit aus heutiger Sicht spannend macht.
Eindrucksvolle Zeugnisse der kulturellen Blüte, zu der die „Langbärte“ weite Teile Italiens führten, hat die UNESCO 2011 in die Welterbeliste aufgenommen. Brescia, das mit dem Archäologischen Park des Capitoliums auch eine Welterbestätte aus römischer Epoche besitzt, gehört mit dem Klosterkomplex San Salvatore – Santa Giulia zum sieben Orte umspannenden Welterbe „Langobarden in Italien. Orte der Macht 568 bis 774 n. Chr.“.
Ein Kloster für Kaisertöchter
Gegründet wurde die Abtei San Salvatore im Jahr 753 vom späteren Langobardenkönig Desiderius und seiner Ehefrau Ansa. Zu diesem Zeitpunkt war Desiderius noch Herzog von Brescia, hatte den Aufstieg zum König noch vor sich und auch den bitteren Fall. Letzterer spiegelt sich in der Geschichte der Desiderata, einer Tochter des Herrscherpaares. Der Überlieferung zufolge soll auch sie sich in das von den Eltern gegründete Kloster zurückgezogen haben, nachdem sie von Karl dem Großen, ihrem Gemahl, verstoßen worden war. Aus Machtkalkül hatte sich der Frankenherrscher von der Angetrauten losgesagt und damit sein Bündnis mit den Langobarden gelöst. 774, drei Jahre nach dem Ehe-Aus, kam es zur entscheidenden Schlacht. Karls Heer trug den Sieg davon. Das Ende der Langobardenherrschaft war besiegelt. Das Kloster San Salvatore, in dem heute das reich gefüllte Stadtmuseum residiert, genoss jedoch weiterhin viele Privilegien und wurde zur Prestige-Adresse für Adelsdamen von nah und fern. Kaisertöchter und Kaiserwitwen fanden hier als Äbtissinnen eine standesgemäße Aufgabe.
Heute gilt die im Laufe der Zeit mehrfach erneuerte und umgestaltete Klosterkirche als eines der wichtigsten Beispiele religiöser Architektur des Hochmittelalters. Die Krypta, einst zur Aufbewahrung der Reliquien der hl. Julia erschaffen, war im Mittelalter vielfrequentierte Pilgerstätte und ist auch heute noch einer der beeindruckendsten Orte des Klosterkomplexes. Ebenfalls von großer Bedeutung ist die im 12. Jahrhundert errichtete Kirche Santa Maria in Solario, in der ursprünglich der Klosterschatz aufbewahrt wurde. Heute sind hier Meisterwerke der langobardischen Goldschmiedekunst zu sehen – allen voran das über und über mit Edelsteinen dekorierte „Desideriuskreuz“ unter der beeindruckenden Himmelskuppel.
Power-Kekse zum Jubiläum
Nach Desiderius benannt wurden auch „I Desideri“, Kekse, die Brescianer Bäcker in Kooperation mit Kultur-Institutionen zur Feier des Welterbe-Jubiläums kreiert haben. Der Clou: Das Kleingebäck wird mit nahrhaften Ingredienzien gebacken, die schon in der Küche der Langobarden für Süßspeisen verwendet wurden – getrocknete Früchte, Kastanien und Nüsse. Die Verpackungen, in denen das Gebäck angeboten wird, hat der Künstler Levente Tani bebildert, der bereits etliche Illustrationen für das Langobarden-Welterbe gefertigt hat. So zieren Desiderius und Ansa die Tütchen. Der König reicht seiner Königin mit feierlicher Geste einen Keks.
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