Ab dem Zeitpunkt der Einschulung zeigen sich bei manchen Kindern Probleme, mit denen keiner rechnet: Sie sitzen mitunter stundenlang an ihren Hausaufgaben, zappeln herum, sind unkonzentriert oder das Schriftbild ist eine Katastrophe. Der Output, den das Kind bringt, reicht den Eltern ebenso wenig wie den Lehrern. „Nicht alle kommen auf die Idee, solche Schwierigkeiten, die sich als Kummer bei den Hausaufgaben zeigen, mit dem Kinderarzt zu besprechen.“, bestätigt Anja Junkers. Sara Hiebl ergänzt: „Das ist oft schambesetzt, die Gesellschaft erwartet ja, dass alles funktioniert. Gerade bei vermeintlich einfachen Dingen wie den Hausaufgaben. Die meisten Kinder sind zwar in der Lage, den Lerninhalt zu erfassen. Trotzdem hat eine bestärkende Eltern-Kind-Beziehung große Auswirkungen auf die Motivation und das Durchhaltevermögen, auch bei den Hausaufgaben.“. Sind die Eltern wegen schulischer Probleme des Kindes unzufrieden, belasten die enttäuschten Gefühle, selbst wenn sie nicht ausgesprochen werden, die Beziehung zwischen Eltern und Kind. Unbewusst baut sich Stress auf, der Druck erhöht sich auf alle. Die Situation für das Kind verschärft sich.
Institution
Weniger Streit bei Hausaufgaben: Ergotherapeutisches Konzept für Eltern und Kind
Kommen Kinder in die Schule, stecken sie und ihre Eltern voller Erwartungen. Oft bringt jedoch der erste Elternabend die Ernüchterung. „Dann realisieren einige Eltern, dass es in der Schule nicht gut läuft für ihr Kind. Und dass sie sich kümmern müssen – nicht nur um die Hausaufgaben.“, berichten die Ergotherapeutinnen Sara Hiebl und Anja Junkers, DVE (Deutscher Verband der Ergotherapeuten e. V.). Die beiden haben das „Du und Ich-Konzept“, ausgearbeitet, das aus mehreren Modulen besteht. Neben dem klassischen Ansatz der Förderung des Kindes enthält das Programm Elemente für die Arbeit mit den Eltern und die Beziehung von Eltern beziehungsweise Mutter und Kind.
Bei Problemen mit den Hausaufgaben Kinderarzt einbeziehen
„Kinderärzte, die unser Konzept kennen, teilen uns häufig auf ihrer Verordnung für die zu behandelnden Schwierigkeiten wie etwa im Bereich der Grafomotorik oder der Konzentration mit, wenn sie eine belastete Eltern-Kind-Beziehung erkennen. Oder empfehlen direkt ein Coaching für die Eltern.“, so die beiden Ergotherapeutinnen. Wie gestaltet sich diese besondere ergotherapeutische Arbeit mit den Kindern beziehungsweise mit Eltern und Kind? Sara Hiebl erzählt von einem Schüler der zweiten Klasse, der häufig mehrere Stunden mit den Hausaufgaben zubrachte. Und zwar im Kampf. Mit sich selbst und mit der Mutter. Die wiederum mit den Wutanfällen, die er dabei hatte, nicht umgehen konnte. Im ersten Schritt fanden die Ergotherapeutinnen heraus, dass der Junge immer wieder in Konflikte mit seinen Mitschülern verwickelt war. Er provozierte, ohne es selbst zu merken. Er konnte diese Probleme jedoch weder lösen noch aushalten, kam an diesen Tagen voller Wut nachhause. Dort hieß es von der Mutter trotz emotionsgeladener Stimmung gleich nach dem Essen: mit den Hausaufgaben beginnen. Diese Struktur, nach dem Motto ‚erst die Arbeit, dann das Vergnügen‘, ist weit verbreitet, denn die meisten Eltern kennen es genauso aus ihrer eigenen Kindheit und Jugend.
Seite der Kinder und Seite der Eltern berücksichtigen
Um zu den nötigen Erkenntnissen über die Ursachen zu gelangen, haben die beiden Ergotherapeutinnen für die Befragungen im Rahmen ihres Konzepts ein Kartensystem entwickelt, um verschiedene Aspekte wie das Wollen, das Können, die Motivation und so weiter abzufragen. Die Eltern antworten dazu jeweils für die Seite des Kindes sowie für ihre eigene Situation. Durch eine spezielle Fragetechnik finden Ergotherapeuten, die dieses Konzept anwenden, neben dem, was nicht funktioniert, vor allem heraus, was schon gelingt. Sagen Eltern beispielsweise, dass das Kind hin und wieder bei den Hausaufgaben motiviert ist, hakt der Ergotherapeut nach: Was beeinflusst die Motivation? In manchen Familien ist zum Beispiel das Geschwisterkind mit den Hausaufgaben fertig und darf schon spielen. Das erhöht den Stress und frustriert das Kind, das noch an den Hausaufgaben sitzt. Oder der Ergotherapeut findet mit der Mutter heraus, dass das Kind die Hausaufgaben konzentriert erledigt, wenn es zuerst eine Stunde spielen und sich „abreagieren“ darf. Dieser lösungsorientierte Ansatz, der zudem die Eltern das Positive erkennen lässt und weiter fördert, ist typisch für Ergotherapeuten. Und hat auch im Fall des beschriebenen Jungen zum Erfolg geführt. Ihn haben die Ergotherapeutinnen in eine Gruppe mit anderen Kindern aufgenommen, um seine sozialen Fähigkeiten zu trainieren. Parallel lernte die Mutter im Einzelcoaching, mit seiner Wut und den Machtkämpfen bei den Hausaufgaben zielgerichtet umzugehen.
Beziehung von Mutter und Kind beleuchten
Was sich vordergründig als Hausaufgabenproblem zeigt, hat oftmals andere Ursachen, ist komplex. Um die Vielschichtigkeit besser zu erklären, geht die Ergotherapeutin Hiebl auf die Beziehungssituation von Mutter und Kind ein: „Manchmal ist die eigene Wahrnehmung der Eltern beziehungsweise der Mutter verzerrt.“ Sie verdeutlicht dies weiter am Beispiel des Jungen. Er fand, dass die Mutter ihm nichts zutraut. Die Mutter hingegen war davon überzeugt, ihm die Verantwortung zu übertragen. Eins der vielen ergotherapeutischen Analyseverfahren ist das Beobachten; etwa beim gemeinsamen Spielen wie beispielsweise dem Bauen eines Turms aus Holzklötzen. Denn das bedeutet, sich absprechen: Wer ist dran und wer darf mit welchem Teil und wie weitermachen, damit der Turm stabil bleibt. Im alltäglichen Tun zeigen sich die Muster. Ob die Mutter dem Kind auf Augenhöhe begegnet, es seine Idee erklären lässt, abwarten kann, bis es überlegt hat, und gegebenenfalls nachfragt, wenn sie seine Erklärung nicht verstanden hat. Und wie sich das Kind verhält, ob es sich etwas zutraut, wie es reagiert, wenn die Mutter eingreift, bevor es zum Zug kommt, ob es der Mutter zuhört und nachfragt, und und und. Anhand der Ergebnisse dieser Beobachtungen und Notizen gestalten die Ergotherapeutinnen die folgenden Interventionen, arbeiten mit dem Kind, mit der Mutter und mit den beiden zusammen, so dass das Miteinander wieder respekt- und liebevoll wird und letzten Endes auch die Hausaufgaben in einer vernünftigen Zeit und Form klappen.
Informationen und Ausblick für Eltern
Bei welchen Problemen und äußeren Zeichen das Du-und-Ich-Konzept zum Einsatz kommt, weitere Einzelheiten zum Konzept und welche Ergotherapie-Praxen es anwenden, erfahren interessierte Eltern, wenn sie sich an @email wenden. Derzeit modifizieren Hiebl und Junkers ihr Programm und passen es an die Bedürfnisse von 12- bis 17jährigen und deren Eltern an. Denn in vielen Familien beginnen Schwierigkeiten bei den Hausaufgaben erst mit der Pubertät der Kinder.
Informationsmaterial gibt es bei den Ergotherapeuten des DVE (Deutscher Verband der Ergotherapeuten e.V.); Ergotherapeuten in Wohnortnähe auf der Homepage des Verbandes im Navigationspunkt Service und Ergotherapeutische Praxen, Suche.
Vorschläge Bildunterschriften:
Bild 1 Die Wunschvorstellung: Kinder erledigen ihre Hausaufgaben selbstständig gleich nach dem Essen. Die Wirklichkeit weicht bei vielen Familien ab. Ergotherapeuten helfen Kindern durch Strategievermittlung, Beziehungsarbeit mit den Eltern oder gezieltes Coaching. (© DVE/ Janine Metzger)
Bild 2 Die Ergotherapeutin Anja Junkers hat zusammen mit ihrer Kollegin Sara Hiebl das „Du und Ich-Konzept“ ausgearbeitet; ein Programm, das Familien hilft, den Hausaufgabenstress besser zu meistern. (© DVE)