Die Debatte über die rechtlichen Rahmenbedingungen von Bürgern mit lesbischer oder schwuler Identität hat in den letzten knapp 20 Jahren zu enormen Veränderungen im deutschen Recht geführt. Es ist noch keine 20 Jahre her, seitdem ich in meiner ersten Amtszeit als Bundesjustizministerin den berüchtigten § 175 StGB vollständig abgeschafft habe. Und es war erst 2001, nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, als das Lebenspartnerschaftsgesetz in Kraft trat.
Seitdem sind weitere wichtige rechtliche Verbesserungen erreicht worden, auch wenn es immer wieder zu mühsamen politischen Aushandlungsprozessen kam.
2009 vereinbarten Union und FDP in ihrem Koalitionsvertrag, dass die Ausgewogenheit von Rechten und Pflichten von Eingetragenen Lebenspartnerschaften verbessert werden sollte durch konkrete Vereinbarungen für das Steuerrecht und das öffentliche Dienstrecht des Bundes.
2012 sind im Bereich der Erbschaftsteuer, Grunderwerbsteuer, BAföG, Vermögensbildung, Beamten- Richter- und Soldatenrecht Eingetragene Partnerschaften mit der Ehe gleichgestellt worden. Eine vollständige Gleichstellung von Lebenspartnern mit Ehepartnern ist allerdings immer noch nicht erreicht.
Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf eine Große Anfrage (BT-Drs. 17/8248) die Beseitigung noch vorhandener Ungleichbehandlungen in Aussicht gestellt. Einen entsprechenden Diskussionsentwurf, der eine Vielzahl von Regelungen betrifft, habe ich inzwischen vorgelegt. Leider hat der Koalitionspartner diesem Entwurf, der notwendige Forderungen aus der verfassungsrechtlich bestätigten Eingetragenen Partnerschaft zieht, noch nicht zugestimmt. Noch nicht vorgesehen ist in dem Diskussionsentwurf die Gleichstellung im Einkommensteuerrecht, wo die Koalition den Ausgang der anhängigen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht abwartet, und die gemeinschaftliche Adoption, die im Koalitionsvertrag nicht angesprochen ist. Beide Themenbereiche sind für die Lebenspartner von erheblicher Bedeutung. In beiden Punkten besteht wichtiger Handlungsbedarf. Allerdings sind sie auch politisch besonders umstritten, eine Einigung ist nicht in Sicht. Dies gilt vor allem auch für die Adoption durch Lebenspartner.
Die gemeinschaftliche Adoption von Kindern durch Eingetragene Partnerschaften wird in Gesellschaft und Politik – und nicht nur in Deutschland – besonders kontrovers diskutiert. Gegen die Adoption werden in der Regel unspezifische Vorbehalte gemacht. Dabei hinken die derzeit geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen hinter der gesellschaftlichen Wirklichkeit her: So werden auch Lebenspartner als Pflegeeltern gesucht, Kinder wachsen bei gleichgeschlechtlichen Paaren auf.
Als allgemeiner Grundsatz des Kindschaftsrechts steht das Kindeswohl auch bei der Adoption an erster Stelle. Sie ist nach § 1741 Absatz 1 Satz 1 BGB zulässig, wenn sie dem Wohl des Kindes dient und zu erwarten ist, dass zwischen den Annehmenden und dem Kind ein Eltern-Kind-Verhältnis entsteht. Dieser Maßstab steht selbstverständlich keinesfalls zur Disposition. Das geltende Recht geht in § 1741 Absatz 2 BGB von dem Grundsatz aus, dass jemand, der nicht verheiratet ist, ein Kind nur allein annehmen kann und ein Ehepaar ein Kind grundsätzlich nur gemeinschaftlich annehmen kann. Das geltende Recht entspricht dem Europäischen Adoptionsübereinkommen von 1967, das nur Ehegatten die gemeinschaftliche Adoption eines Kindes erlaubt und die Kettenadoption außerhalb der Ehe verbietet. Folge ist, dass ein Adoptivkind nur vom Ehegatten des Annehmenden, nicht aber von dessen Lebenspartner angenommen werden darf. Zwischenzeitlich ist jedoch das revidierte Europäische Adoptionsübereinkommen von 2008 in Kraft getreten, das die gemeinschaftliche Adoption durch Lebenspartner zulässt. Deutschland könnte ohne weiteres dieses Übereinkommen ratifizieren. In der Koalition gibt es leider keine Einigkeit dazu.
Nach meiner Auffassung sind eine Zeichnung des Übereinkommens und die Zulassung der gemeinschaftlichen Adoptionen durch Lebenspartner längst überfällig. Die geltende Rechtslage führt zu inkonsequenten Ergebnissen: Die sexuelle Identität eines Menschen ist für sich genommen kein Hinderungsgrund für eine Adoption; das gilt unabhängig davon, ob der Betroffene in einer Lebenspartnerschaft lebt oder nicht. Ein Lebenspartner kann seit 2005 auch das leibliche Kind seines Lebenspartners adoptieren. Nur zum letzten Schritt, nämlich der Zulassung der gemeinschaftlichen Adoption eines Kindes durch die Lebenspartner, hat man sich damals nicht durchringen können - er ist bis heute nicht gemacht worden. An dieser Stelle voranzukommen ist auch im Interesse der betroffenen.
Es ist eine Tatsache, dass unabhängig von dem vorstehend aufgezeigten rechtlichen Rahmen heutzutage ganz selbstverständlich Kinder in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften aufwachsen: So gibt es Partnerschaften, in die ein Partner ein Kind aus einer vorangegangenen Beziehung mit hineinbringt, Partnerschaften, in die ein Kind „hineingeboren“ wird, und Partnerschaften, in denen ein Partner ein Kind adoptiert oder adoptiert hat. Ich bin davon überzeugt, dass all diese Beziehungsmodelle keineswegs per se kindeswohlwidrig sind, vielmehr wird es häufig gerade umgekehrt im Sinne des Kindeswohls sein, sowohl die Adoption durch den Lebenspartner des Adoptivelternteils als auch die gemeinschaftliche Adoption eines Kindes durch Lebenspartner zu ermöglichen.
Zu diesem Ergebnis ist auch die 2009 veröffentlichte Studie des Staatsinstitutes für Familienforschung der Universität Bamberg „Die Lebenssituation von Kindern in gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften“ gekommen. Nach dieser repräsentativen Studie sind gleichgeschlechtliche Partner genauso gute Eltern wie alle anderen an ihren Kindern interessierte Eltern auch. Die Persönlichkeitsentwicklung, die schulische und berufliche Entwicklung der Kinder in solchen Familien verläuft genauso gut wie bei Kindern aus anderen Familienformen. Die Studie ist auch der üblichen Kritik gegen ein Aufwachsen von Kindern bei gleichgeschlechtlichen Eltern nachgegangen und hat diese nicht bestätigt. Diskriminierungserfahrungen der Kinder wegen der sexuellen Identität der Eltern waren ganz überwiegend nicht vorhanden. Die Kinder litten auch nicht etwa unter fehlenden Rollenvorbildern, weil sie zwei Väter oder Mütter haben.
Nach den Ergebnissen der Studie steht deshalb fest, dass sich die jetzt schon vorhandenen kindschaftsrechtlichen Regelungen im Lebenspartnerschaftsgesetz bewährt haben. Hierbei hat gerade die Stiefkindadoption die Rechtsstellung der Kinder erheblich verbessert, denn hierdurch erhält das Kind einen weiteren Elternteil, der nicht nur tatsächlich, sondern auch rechtlich Verantwortung für das Kind trägt. Diese - doppelte - Sicherheit wird anderen Kindern vorenthalten, denn bei der derzeit nur möglichen Einzeladoption durch einen Lebenspartner wird nur dieser ein verantwortlicher Elternteil, der andere Lebenspartner hat dagegen keine Elternstellung.
Es ist deshalb erforderlich, auch die gemeinschaftliche Adoption durch Lebenspartner zuzulassen. Da nicht zu erwarten ist, dass sich die Koalitionspartner schnell über die Zeichnung des revidierten Europäischen Adoptionsübereinkommens und die Zulassung der gemeinschaftlichen Adoption durch Lebenspartner einigen, gehe ich davon aus, dass leider auch hier erst eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts weiterhelfen wird. So hat das Hanseatische Oberlandesgericht dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob das Verbot der sukzessiven Adoption durch den Lebenspartner des zunächst Annehmenden gemäß § 9 Absatz 7 des Lebenspartnerschaftsgesetzes mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Eine Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm stellt die gleiche Frage. Unabhängig hiervon werde ich auch weiter in der Koalition dafür werben, das revidierte Europäische Adoptionsübereinkommen zu zeichnen und mit der Zulassung der gemeinschaftlichen Adoption für Lebenspartner einen weiteren, konsequenten Schritt zur vollständigen Gleichbehandlung von Ehe und Lebenspartnerschaft zu machen.
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Autor: Sven Rebehn
Quelle: Deutsche Richterzeitung von Januar 2013