Ich war gestern Abend hochgradig frustriert. Nach einem langen Tag hatte ich für meine Personalberatung Kandidaten für die weltweite Vertriebsleitung präsentiert. Die Suche ist streng vertraulich, der Standort unterirdisch, das Gehaltsangebot mittelmäßig. Kritisch auch die geforderten Erfahrungen in China und Nordamerika. Knapp 200 Kontakte waren nötig, um insgesamt sechs gute Kandidaten für zwei Führungskräfte im Maschinenbau zu gewinnen.
Kurzum, es war schwer, als Headhunter nachweislich erfolgreiche Talente und Leistungsträger für diesen Standort zu motivieren. Was Geschäftsführung und schlimmer noch, der Personalleitung nicht klar ist: dass gute Kandidaten umworben, „eingefangen“ werden wollen, dass sie Sympathie zum Vorgesetzten und Unternehmen entwickeln wollen, sich identifizieren– und, sich auf Termine und Zusagen seitens HR verlassen wollen – nur wegen eines höheren Gehalts wechselt heute kein guter Mitarbeiter.
Wie gesagt, gestern führten wir keine Bewerbungsgespräche, sondern Bittstellergespräche. Aber, was der Geschäftsführer und ebenso der Personalleiter nicht verstanden haben - die Bittsteller sind sie, d.h. ihr Unternehmen, nicht umgekehrt. Kandidaten aus der Direktansprache haben und machen oft einen guten Job. Meist haben sie auch einen guten, vielleicht sogar sympathischen Vorgesetzten.
Eine sehr wichtige Rolle spielt HR, in diesem Fall der Personalleiter. Dieser gab sich überaus cool und wirkte dabei sehr unprofessionell und wenig empathisch, fast unfreundlich.
Wir erleben leider oft, dass Mitarbeiter aus fast allen Abteilungen der Geschäftsführung nach dem Mund reden, d.h. sie haben keine eigene Meinung und können dementsprechend auch keine klare Einschätzung abgeben. Um eine Lanze zu brechen – leider ist es oft so, dass HR übergangen, nur oberflächlich eingeweiht wird und sich dem entsprechend fühlt. Nichtsdestotrotz sollte sich ein Personalleiter aber Bewerbern gegenüber professionell verhalten. Viele Kleinigkeiten stören mich zutiefst. Wenn ich selbst auf Gläser, auf Getränke aufmerksam machen muss. Wenn ich immer nachschenken, nachfragen muss, dann ist das wenig gastfreundlich und wertschätzend.
Indem man beispielsweise einen Lebenslauf nicht ausdruckt, sondern von einem Tablet abliest und auffällig hin-und-her-wischt, demonstriert man dem Kandidaten, wie oberflächlich, d.h. wie wenig wichtig einem das Gespräch und der Bewerber ist. Indem man dem Berater gegen Ende des Gesprächs die Bewerbungsunterlage auf dem Tisch zuschiebt, hinterlässt man unbewusst ein klar negatives Zeichen. Gerade weil die Kandidaten für diese Gespräche einen großen zeitlichen Aufwand und oft auch ein Risiko in Kauf nehmen.
Neben Erfahrung und Motivation spielt die Wertschätzung und Sympathie eine wichtige Rolle, wenn man gute Kandidaten zu Bewerbern machen will. Das Recruiting vieler Unternehmen ist darin schon sehr gut.
Zu einem guten Bewerbungsgespräch gehört eine herzliche Begrüßung, ein freundliches repräsentatives Ambiente, das unaufgeforderte Angebot von Getränken, dass der Gastgeber nachschenkt, sich nach dem Befinden erkundigt, sich Mühe gibt und seine Firma und sich selbst begeisternd vorstellt .. ein kleiner Aufwand für eine sehr große Wirkung.
Viel Erfolg bei Ihrem nächsten, professionell und wertschätzend geführten, Bewerbungsgespräch!