Direkt zum Inhalt
DVE Deutscher Verband Ergotherapie e.V.

Institution

Inklusion an Schulen: Lernpotenzial für alle Kinder verbessern


27. November 2018, 09:40
PRESSEMITTEILUNG/PRESS RELEASE

Einige Bundesländer verzeichnen einen rückläufigen Anteil von Schülern mit Behinderung in den Regelschulen; es scheint, als ob sich die deutschen Schulen mit der Inklusion schwertun. „Inklusion bedeutet eben, jeden Einzelnen mitzunehmen und alle einzubeziehen. Heißt, alle am Prozess der Inklusion beteiligten Kinder, Eltern, Lehrer vorzubereiten, zu befähigen und professionell beim Miteinander zu unterstützen“, erläutert Roswitha Hoerder, Ergotherapeutin im DVE (Deutscher Verband der Ergotherapeuten e. V.) ihren Standpunkt zum Thema ‚Inklusion‘.

Inklusion an Schulen: Lernpotenzial für alle Kinder verbessern

Die Inklusion verlangt den Schulen einiges ab. „Dabei könnte Inklusion leichter gehen.“, findet die Ergotherapeutin Roswitha Hoerder, die an einer Ganztagsschule arbeitet. Ihr Arbeitsschwerpunkt ist in den unteren, vorwiegend in den ersten Klassen, denn der Übergang in die Schule stellt für alle Erstklässler ein Umgewöhnen, für einige eine Herausforderung dar. Viele Kinder haben anfangs ähnliche Schwierigkeiten, müssen lernen, sich im Schulalltag zurechtzufinden, sich für die Pause oder den Sport umzuziehen. Anschluss und Freunde zu finden, sich sozial zu integrieren. Aber auch das Geschehen in der Mensa – immer mehr Schulen sind Ganztagesschulen – ist für einige Kinder eine Hürde. Sie geraten unter Druck, vor allem die Kinder, die körperlich eingeschränkt sind oder diagnostizierte oder bis dahin nicht erkannte Entwicklungsverzögerungen und andere Störungen haben. Das sind die meisten.

Schritt eins der Inklusion: Kinder mit Schwierigkeiten identifizieren
Ergotherapeuten wie Roswitha Hoerder sitzen vom ersten Schultag an mit in den Klassen. Sie beobachten zunächst einmal sehr genau; das ist ein typisches ergotherapeutisches Analysemittel, das äußerst aussagkräftig ist – Verhalten ist im Vergleich zu Befragungen völlig ungefiltert. In ihren Betrachtungen berücksichtigt die Ergotherapeutin, was einzelne Tätigkeiten und Handlungsabläufe den Kindern in der Schule abverlangen. Also wie sie innerhalb der Klasse, im Umgang mit Lehrern und den Mitschülern oder Materialien zurechtkommen, wie sie selbst strukturiert sind und sich im System Schule zurechtfinden. Dabei stützt sie sich auf ergotherapeutische Modelle wie das sogenannte Person-Environment-Occupation Model (PEO) oder das Canadian Model of Occupational Performance & Engagement (CMOP-E), ein kanadisches Modell, das Aspekte wie die Persönlichkeit und den Charakter, kognitive und körperliche Fähigkeiten aber auch den gesundheitlichen oder kulturellen Hintergrund des jeweiligen Kindes beleuchtet. Denn in all diesen Faktoren finden sich die Gründe für die Schwierigkeiten, die von außen sichtbar sind.

Ergotherapeutischer Blick auf vermeintlich Banales
Oft sind es die vermeintlich banalen Dinge des Schulalltags, die übersehen und deren Auswirkungen meist unterschätzt werden. Klappt das Anziehen für die Pause nicht, kommt das Kind verspätet auf den Pausenhof. Dann sind die anderen Kinder schon in Gruppen, im Spielen. „Das ist eine Situation, in der das Kind isoliert ist, also keine Inklusion erlebt, und eine schlechte Pause hat. Wie geht das Kind danach in den Unterricht? Wie kann es folgen, wenn es sich in der Pause nicht erholt hat?“, bebildert die Ergotherapeutin Hoerder, weshalb sie ihren Blick auf sämtliche Handlungen im Schulalltag richtet. Ähnliche Situationen können sich beim Mittagessen entwickeln, das in einem festgelegten Zeitfenster stattfindet. Verschüttet das Kind täglich etwas, lässt es sein Tablett fallen oder hat es beim Essen Schwierigkeiten, weil es das Besteck nicht handhaben kann oder aus körperlichen Gründen Probleme bei der Nahrungsaufnahme hat, dann sorgt das für Stress, was wiederum die anderen Bereiche beeinflusst. Denn unter Stress kann sich kein Kind konzentrieren, Neues aufnehmen, sich am Unterricht beteiligen. Je nach Charakter, Herkunft, Fähigkeiten und so weiter, machen Kinder, die sich derart unwohl oder unter Druck fühlen, auf sich aufmerksam, indem sie stören oder ihre Sitznachbarn ablenken. Und beeinträchtigen so den Rest der Klasse. Daher kümmert sich die Ergotherapeutin um alles, was ihr auffällt. Häufig reichen einfache Veränderungen wie dem Kind einen anderen Platz zuweisen, der nicht mitten im Getümmel ist, oder für die Mensa Besteck anpassen oder eine rutschfeste Unterlage für das Tablett besorgen. Hat das Kind hingegen Probleme beim Anziehen, vermitteln Ergotherapeuten Strategien, die ihm helfen, selbst besser zurecht zu kommen, Alternativen zu finden oder wie es Hilfe von anderen erhält.

Inklusion bedeutet für Ergotherapeuten auch Beziehungsarbeit zu Eltern und Lehrern
Für die Ergotherapeutin Hoerder ist es selbstverständlich, das gesamte System zu betrachten und einzubinden. „Ich bin bereits beim ersten Informationsabend für Eltern dabei. Den Eltern der neuen Erstklässler erkläre ich meine Funktion und, noch wichtiger: Ich kläre auf und nehme die Furcht“, betont sie, denn Vorurteile und das Nicht-Wissen, sowohl bei Eltern als auch bei Lehrern, sind oft der Grund, warum Inklusion so schwerfällt. Dem treten Ergotherapeuten mit ihrem Background, unter anderem aus medizinischem Wissen, entgegen. Roswitha Hoerder weiß aus ihrer langjährigen Berufserfahrung, wie hilfreich es ist, die Auswirkungen einer Erkrankung oder einer Störung zu kennen. Wenn die Kinder zuhause berichten, was bestimmte Klassenkameraden tun oder wie sie sich verhalten, wissen die Eltern, warum das so ist und können ihr von der Ergotherapeutin erworbenes Wissen an das eigene Kind weitergeben. „Wenn Kindern und Eltern klar ist, dass beispielsweise ein Mitschüler mit Autismus nicht mag, wenn andere Kinder sich an ihn heranpirschen oder ihn berühren, gibt es weniger Irritationen im Miteinander und letzten Endes läuft es dadurch auch besser im Unterricht“, berichtet Hoerder. Verständnis, Empathie und der Wille, Andere und Andersartigkeit zu akzeptieren, sind grundlegend für Inklusion. Und das vermitteln Ergotherapeuten eben auch. Und tragen so dazu bei, dass das, was an Schulen an erster Stelle steht – das Lernen – für alle besser klappt.

Informationsmaterial gibt es bei den Ergotherapeuten des DVE (Deutscher Verband der Ergotherapeuten e.V.); Ergotherapeuten in Wohnortnähe auf der Homepage des Verbandes im Navigationspunkt Service und Ergotherapeutische Praxen, Suche.
Vorschläge Bildunterschriften
Bild 1 Kinder brauchen Freunde, sollen sich in der Pause beim Spielen mit anderen erholen. Ergotherapeuten beobachten das gesamte Schulgeschehen und kümmern sich um die, die Unterstützung benötigen – für weniger Frust und Störenfriede, dafür mehr Lust am Lernen. (© DVE/ Janine Metzger)
Bild 2 Soll Inklusion funktionieren, spielt das gesamte Umfeld eine Rolle: Eltern und Lehrer erhalten oftmals schon vor der Einschulung Hintergrundwissen von Ergotherapeuten, das das Miteinander in der Schule für alle Kinder mit und ohne Behinderung vereinfacht. (© DVE/ Janine Metzger)
Bild 3 Ergotherapeuten wie Roswitha Hoerder tragen durch ihre Arbeit an Schulen dazu bei, dass Inklusion viel leichter geht und darüber hinaus alle Kinder ihr Lernpotenzial entfalten können. (© DVE/ Barbara Neumann)

Kontakt