Geschäftiges Treiben und gut Stimmung prägen den ersten Ergotherapie-Kongress in Präsenz nach zwei Jahren Pause durch die Pandemie. „Ergotherapeut:innen“, erklärt der Vorsitzende des maßgeblichen Berufsverbands DVE (Deutscher Verband Ergotherapie e.V.), „sind wie eine Familie; wen wundert es da, dass der Zuspruch größer denn je, die Zahlen der Teilnehmenden so hoch wie nie zuvor sind“. Ein Aspekt zieht sich wie ein roter Faden durch das Kongressgeschehen: Das Humanitäre in der Ergotherapie. Bereits der erste Redner, Frank Kronenberg, nordet mit seinem mitreißenden und zutiefst bewegenden Eröffnungsvortrag alle darauf ein. Ergotherapie soll vor allem eins sein: Menschlich!
Die Pandemie hat Gewinner und Verlierer hervorgebracht. Die Ergotherapeut:innen und der DVE (Deutscher Verband Ergotherapie e.V.) gehören zu den Gewinnern. In der Pandemie hat sich bestätigt, dass ergotherapeutische Konzepte und Ideen unabhängig davon funktionieren, welche Erkrankung oder Krise bei den zu behandelnden Personen Probleme verursacht. Als eine der wenigen Disziplinen im Gesundheitswesen konnte die Ergotherapie bei an Long-COVID-Erkrankten punkten. Ebenso konnten Ergotherapeut:innen Betroffene auch in anderen Bereichen, die den pandemiebedingt veränderten Alltag angehen, durch entsprechende Interventionen unterstützen. Dazu der Vorsitzende des DVE: „Das hat dem Image dieser Berufsgruppe Auftrieb gegeben“. Ebenso erfreulich: Mit über 1.600 Kongressteilnehmenden und einer aktuellen Mitgliederzahl von fast 12.900 geht es dem DVE besser denn je; der Trend seit der Pandemie: steigende Mitgliederzahlen. Welch ein Auftakt für diesen Kongress.
Ausgezeichnet: Ergotherapeut:innen bringen ihr Metier voran
Gemeinsam verleihen der Schulz-Kirchner Verlag und der DVE den Innovationspreis Ergotherapie – als Zusammenschluss von zuvor zwei ausgelobten Preisen. Mit ihrem Konzept für souveränen Umgang mit Sex in der Ergotherapie hat Katja Stolte ein Signal zum Aufbruch gegeben. Ihr Wunsch: Das Thema in die Ausbildung aufnehmen. Noch in der Ausbildung: die nächsten Preisträger – eine ganze Klasse samt ihren Lehrenden oder andersherum. Veronika Smalla und Ursula Regner von der Städtischen Berufsfachschule München haben mit dem theaterpädagogischen Projekt ‚Mit TUSCH in die Ergotherapie‘ gezeigt, welche zentrale Rolle Beziehungsarbeit in der ergotherapeutischen Ausbildung und Arbeit spielt.
Schon immer ein Leuchtturm der Ergotherapie ist Frank Kronenberg. Der charismatische Ergotherapeut nimmt die Anwesenden mit auf eine Reise, die bewegt – im übertragenen Sinne. Er will neuen Samen säen und der Ergotherapie neues Leben einhauchen. Beginnend bei den Ungleichheiten in Südafrika wünscht er sich mehr Humanisierung und Heilung der verwundeten Menschlichkeit – und die gibt es nicht nur in Südafrika. Verwundete Menschlichkeit gibt es überall, wo es beispielsweise bewaffnete Konflikte gibt. „Bislang ist es die Aufgabe der Ergotherapie, Schäden zu beheben, nicht, die Konflikte zu verhindern“, sagt Kronenberg und fährt fort: „Warum stellen wir dieses Narrativ nicht in Frage“? Seine Beispiele und Ausführungen, was Menschlichkeit im Allgemeinen und Menschlichkeit in der ergotherapeutischen Intervention bewirkt, sorgen für kollektive Ergriffenheit und am Ende für Standing Ovations für den Redner aus Südafrika.
Brandherde bekämpfen: Ergotherapeut:innen engagieren sich
Die Ergebnisse ihrer Arbeitsgruppe aus Logopäd:innenen, Physio- und Ergotherapeut:innen präsentieren drei engagierte Kämpferinnen für mehr Umweltschutz. Klimaschutz ist gleich Gesundheitsschutz, so die Devise. Denn die Auswirkungen der Klimakrise sind spürbar, Klient:innen und Patient:innen mit Beschwerden, unter anderem wegen psychischer Belastungen durch die Klimakrise, kommen bereits in ergotherapeutische Praxen. Die einen, weil sie klimabedingt zur Migration gezwungen sind, die anderen, weil sie die Folgen des Klimawandels und die Ängste vor dieser sich verändernden Welt mental nicht verkraften. Wer sich ebenfalls engagieren möchte: ein Blick auf https://healthforfuture.de/ bringt weiter.
Mit einem nicht weniger heißen Thema befasst sich eine interdisziplinär aufgestellte Gruppe: Geflüchteten aus der Ukraine helfen. Mit ihren Erläuterungen zu Trauma und Traumafolgestörungen bereiten die Expert:innen die Kongressteilnehmenden auf die anschließende Ideenwerkstatt vor. Thematisch geclustert arbeiten kleine Gruppen zusammen, tauschen sich aus und bilden Netzwerke. Denn, so das Fazit der Moderatorin dieser Veranstaltung: Ergotherapeut:innen sind prädestiniert, mit traumatisierten Geflüchteten zu arbeiten – nicht zuletzt, um so schnelle Hilfe zu ermöglichen und dadurch unnötig hohe Kosten für das Gesundheitssystem zu vermeiden, die unweigerlich entstehen, wird die Behandlung traumatisierter Menschen verzögert begonnen. Ebenso wie den Geflüchteten aus der Ukraine hier, hilft der DVE den Menschen in der Ukraine selbst: Der Berufsverband hat, durch geldgebende Ergotherapeut:innen in Kanada und USA finanziert, Krankenhäuser in der Ukraine mit dringend benötigtem Material versorgt.