Gesunde Menschen können sich das gar nicht vorstellen: Dass man weiß, was zu tun ist, es aber nicht tun kann. Beispielsweise den Ablauf „sich anziehen“ zu kennen und erklären zu können. Und dennoch nicht in der Lage zu sein, die dafür nötigen Handlungen auszuführen. Diese Art der Handlungsunfähigkeit kann die Folge einer Reihe neurologischer Erkrankungen sein. Oft, aber nicht immer, treten Störungen der exekutiven Funktionen auch bei entzündlichen Erkrankungen wie Multiple Sklerose, Meningoenzephalitis oder Herpes Simplex Enzephalitis auf. Das erklärt, warum bei diesen Krankheiten nicht routinemäßig eine neurologische Abklärung oder Behandlung erfolgt. Gleiches gilt für einige psychische Erkrankungen, in deren Folge ebenfalls eine Störung der exekutiven Funktionen und dadurch bedingt eine Handlungsunfähigkeit vorkommen kann.
Klientenzentriert = Ressourcen und Wünsche des Patienten beachten
Können Betroffene Handlungen nicht mehr ausführen, verordnet der Haus- oder Facharzt Ergotherapie. „Wir Ergotherapeuten sind Spezialisten, die sich in erster Linie mit Handlungen, die wir Betätigungen nennen, befassen. Wir befähigen Menschen, die für bestimmte Handlungen nötigen Fähigkeiten (wieder) zu erlangen und ihren Alltag möglichst selbstständig zu bewerkstelligen.“, macht die Ergotherapeutin Natalie Gätz klar, weshalb die Ergotherapie bei Störungen der exekutiven Funktionen eine so wichtige Rolle spielt. Bevor sie mit ihrer Behandlung beginnen, analysieren Ergotherapeuten immer die aktuelle Situation. Anhand ausgeklügelter Fragebogen, sogenannten Assessments, finden sie gemeinsam mit den Klienten unter anderem heraus, welche Schwierigkeiten genau bestehen und in welchem Zusammenhang sie auftreten. Sie erarbeiten danach gemeinsam, welche Handlung für den Klienten am wichtigsten ist und auch, was er durch die Therapie erreichen möchte. Dafür kommen Ergotherapeuten gegebenenfalls nachhause und schauen sich vor Ort an, wie der Erkrankte im jeweiligen Umfeld die für ihn wichtige Handlung ausführt, was funktioniert und was nicht klappt.
Zielsetzung der Ergotherapie = Alltag bewältigen + Handlungen selbst ausführen
Manchmal sind es übersichtliche Handlungen wie Schuhe anziehen und schnüren, aber auch komplexere Prozesse wie Essen zubereiten oder ein bestimmtes Programm am Computer bedienen, die einem Menschen mit einer Störung der exekutiven Funktionen am wichtigsten sind. „Wir üben dann genau das und so lange, bis derjenige völlig selbstständig oder – wenn bestimmte Schwierigkeiten sich nicht mehr beheben lassen – durch ein Hilfsmittel unterstützt oder mit Hilfe einer betreuenden Person die Handlung ausführen kann.“, veranschaulicht die Ergotherapeutin, wie sie ihre Klienten oft mit sehr viel Geduld in die Lage versetzt, zum angestrebten Ziel zu kommen. Dabei sind es nicht ausschließlich kognitive Defizite, die ihr begegnen. „Steht gerade ein motorisches Problem im Vordergrund, gehe ich darauf ein. Durch entsprechende Maßnahmen kann ich die Sensibilität, die Wahrnehmung und die Motorik verbessern und so die Voraussetzungen zum Ausführen von Handlungen schaffen. Sobald diese Schwierigkeit behoben ist oder im günstigen Fall schon parallel dazu, kann ich mit dem Klienten weiter an der Verbesserung der Handlung, die er wieder ausführen möchte, arbeiten.“, schwärmt die Ergotherapeutin Gätz von der großen Methodenvielfalt der Ergotherapie und findet, dass kein anderer Beruf so viele passende Möglichkeiten hat.
Ergotherapeutische Beratung für Betroffene + Angehörige
Ein weiterer wichtiger Aspekt in der Ergotherapie ist die Beratung des Umfelds. Denn Angehörige sind ebenfalls betroffen: Sie werden von jetzt auf gleich vom Lebenspartner zum Pflegenden. Sie passen ihren kompletten Alltag dem des Erkrankten an und sind verständlicherweise oftmals mit der gesamten Situation überfordert. „Ich kläre sie über die Auswirkungen der Krankheit auf: Was bedeutet das Verhalten, woher kommt das, warum ist der Partner jetzt so und wie kann ich damit umgehen? sind zentrale Fragen, die für das Verständnis, die Einstellung gegenüber dem Partner mit einer Störung der exekutiven Funktionen und das eigene Auftreten immens wichtig sind.“, verdeutlicht die Ergotherapeutin Gätz den Sinn der Umfeldberatung, bei der sie auch Strategien für einen adäquaten Umgang mit dem Partner vermittelt. Und nicht zuletzt dadurch den Therapieerfolg maßgeblich unterstützt.
Informationsmaterial zur Ergotherapie erhalten Interessierte bei den Ergotherapeuten vor Ort; diese sind über die Therapeutensuche im Navigationspunkt „Service“ des DVE (Deutscher Verband der Ergotherapeuten e.V.) auf www.dve.info zu finden.
Vorschlag für Bildunterschrift:
Menschen mit einer Störung der exekutiven Funktionen wissen, wie etwas „geht“ – sie können es jedoch nicht umsetzen. Ergotherapeuten schauen sich vor Ort an, welche Schwierigkeiten bestehen und arbeiten an motorischen und kognitiven Defiziten. (© DVE)