Der Alarmruf klang dramatisch: Man beobachte „mit großer Sorge einen wachsenden Versorgungsmangel im Bereich der Logistikdienstleistungen in Deutschland“, warnten die Wirtschaftsverbände BDA und BDI schon im Sommer letzten Jahres. Der Mangel an Berufskraftfahrern und bürokratischen Hürden seien eine Gefahr für die Just-in-time-Produktion, fügten sie hinzu.
Laut Arbeitsagentur fehlen Deutschland derzeit 45.000 Lkw-Fahrer. Eine ähnlich hohe Zahl geht jährlich in den Ruhestand. Weil aber nur rund 16.000 Nachwuchskräfte pro Jahr ihre Ausbildung abschließen, wächst die Lücke kontinuierlich. Zwar sei der Umsatz deutscher Anbieter im Straßengüterverkehr 2017 gegenüber dem Vorjahr um 3,9 Prozent und damit stärker als im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre gestiegen, heißt es in einer Antwort des Verkehrsministeriums auf eine Anfrage der FDP. Trotzdem hätten die Umsätze deutscher Unternehmen ohne Fachkräftemangel aber „zum Teil höher“ ausfallen können. Dass in der Hochkonjunktur nicht alle Wachstumspotenziale ausgeschöpft werden könnten, sei fatal, kritisiert der FDP-Abgeordnete Christian Jung, der die Anfrage gestellt hat. Man müsse „die Engpässe bei qualifizierten Menschen im Logistiksektor und insbesondere bei Lkw-Fahrern sehr ernst nehmen“.
Aufgefangen wird der Mangel bisher noch durch ausländische Fahrer und Fahrzeuge, auf die inzwischen 43 Prozent des mautpflichtigen Lkw-Verkehrs in Deutschland entfallen. Der Einsatz osteuropäischer Fahrer, der durch Mindestlohnregelungen in Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern bereits erschwert sei, dürfe nicht zusätzlich reglementiert werden, fordern BDA und BDI.
Darüber ist mittlerweile ein erbitterter Streit entbrannt, seit die EU-Kommission im Mai 2017 in ihrem „Mobility Package“ Vorschläge zur Überarbeitung der Sozialvorschriften und des Marktzugangs im Straßengüterverkehr vorgelegt hat. Auf der einen Seite stehen westeuropäische Länder, Gewerkschaften und der Unternehmerverband BGL, die heimische Fahrer und Firmen vor „Dumpingkonkurrenz“ aus Osteuropa schützen wollen. Auf der anderen Seite neben osteuropäischen Ländern, die ihre Lohnkostenvorteile im Binnenmarkt ausspielen wollen, BDI, BDA und der Logistikverband DSLV.
INTERNATIONAL HOCHGRADIG ARBEITSTEILIG
Mitte 2019 hatte das EU-Parlament einen Kompromissvorschlag seines Verkehrsausschusses zurückgewiesen, der aus Sicht der Wirtschaft viele gute Ansätze bei Entlohnung oder Lenk- und Ruhezeiten enthielt. Die Gewerkschaften kritisierten ihn dagegen als „neoliberal“. Nach Ansicht des Hauptgeschäftsführers des Logistikverbands DSLV, Frank Huster, hat sich die Bundesregierung in dem Streit „zu schnell festgelegt, in der falschen Annahme, durch Marktabschottung würde man Fahrer und deutsche Transportunternehmen schützen“. Die Logistik sei international hochgradig arbeitsteilig: „Ohne den zusätzlichen Einsatz vor allem osteuropäischer Lkw-Flotten würde die Güternachfrage westeuropäischer Staaten nicht mehr befriedigt werden können“, meint Huster.
Schon heute ist deren Einsatz erschwert: Um dem „Fahrernomadentum“ zu begegnen, verbietet seit 2017 ein Gesetz unter Strafe, die wöchentliche reguläre Ruhezeit von 45 Stunden im Fahrzeug zu verbringen. Die Wirtschaftsverbände hegen den Verdacht, dass damit „insbesondere osteuropäischen Fahrern der Marktzugang signifikant erschwert werden sollte“. Denn für rund 50.000 Fahrer stünden weniger als 11.000 Betten in Hotels und Pensionen mit Lkw-Stellplatz zur Verfügung. Statt ohnehin kaum kontrollierbare Hotelübernachtungen zu fordern, sollte die Bundesregierung lieber für gut ausgestattete Rastplätze mit ausreichend Sanitäranlagen und Videoüberwachung sorgen. Laut Antwort auf die FDP-Anfrage arbeitet das Verkehrsministerium derzeit an einer Prognose für den 2030 zu erwartenden Lkw-Stellplatz-Bedarf. Verkehrsexperte Jung fordert hier mehr Einsatz – wie auch bei der Rekrutierung von Fahrern: Die Bundesregierung habe „viele Hausaufgaben trotz zahlreicher Ermahnungen aus Politik und Wirtschaft nicht gemacht“.
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