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Berufsverband der Präventologen e.V.

Verband

Das Virus, die Menschen und das Leben


27. März 2020, 15:15
PRESSEMITTEILUNG/PRESS RELEASE

Das Corona Virus im Vergleich zur alltäglichen Gesundheitsversorgung
Dr. med. Ellis Huber, 27.3.2020

„Noch ist das die Ruhe vor dem Sturm“, sagt der Gesundheitsminister und „wir werden nicht verhungern“ spricht die Landwirtschaftsministerin. Am 26. März hat die Zahl der nachweislich infizierten Personen um fast 6.000 zugenommen und es starben an diesem Tag 56 Menschen an den Folgen der COVID-19 Erkrankungen. Unklar ist weiterhin, wie verbreitet das Corona Virus in der Bevölkerung tatsächlich ist, da Personen ohne Symptome nicht getestet werden.

In Italien, Spanien und in Frankreich spitzt sich die Lage zu und in einzelnen Regionen wie der Lombardei, um Madrid und im Elsass herrschen schlimme Zustände. Eine optimale medizinische Versorgung der Patienten kann nicht mehr sichergestellt werden. Die Universitätsklinik Straßburg nimmt stündlich einen Patienten auf, der beatmet werden muss. Noch sei das keine Überlastung, da 90 Beatmungsbetten zur Verfügung stehen und weitere Kapazitäten ausgebaut würden. Insbesondere Patienten über 80 Jahre sterben.

Die jetzige Grippesaison hat in den letzten Monaten zu 28.320 Einweisungen ins Krankenhaus geführt und bisher sind in Deutschland 323 Menschen nachweislich im Zusammenhang mit Influenza verstorben. Geschätzt sind seit Oktober 2019 bis heute in Deutschland bereits 4.000 Menschen frühzeitig gestorben, weil noch die Grippe dazu kam. In der Grippesaison 2017/18 waren es 25.000 Todesfälle. Jeden Tag sterben in Deutschland auch etwa 80 Menschen an einer bakteriellen oder viralen Lungenentzündung. Vor diesem Hintergrund sind 262 Todesfälle insgesamt und 50 bis 60 Todesfälle am Tag durch das Corona Virus noch im Rahmen des bekannten Sterbegeschehens einzuordnen. Aber: wir können noch nicht genau wissen, wie es weiter geht. Gegenwärtig steigen die Infektionszahlen und die Todesfälle durch das neuartige Corona Virus.

Um Ängste, psychosozialen Stress und gefühlte Todesgefahr durch die Corona Pandemie nicht zu forcieren, stelle ich das Geschehen in bekannte Zusammenhänge. Das kann helfen, die COVID-19 Krankheit und das Corona Virus als eine leistbare Herausforderung zu sehen.

1. Die Situation in Deutschland
Das alltägliche Sterben
Jeden Tag sterben in Deutschland etwa 2.500 Menschen, davon 930 Personen durch HerzKreislauferkrankungen, 650 durch Krebs und 190 an Krankheiten des Atmungssystems. Von Dezember bis März, also in den kalten Jahreszeiten sind es durchschnittlich etwas mehr Todesfälle, im Sommer weniger.

Ausgelöst durch Bakterien und Viren erkranken täglich 1.500 bis 1.900 Menschen an einer Lungenentzündung. Die Diagnose lautet: Pneumonie. Etwa 800 betroffene Patienten kommen damit in ein Krankenhaus und für 80 Personen endet die Krankheit tödlich: An Lungenentzündung sterben also in Deutschland jährlich 30.000 Bürgerinnen und Bürger. Auch die Tuberkulose ist nicht verschwunden. Jährlich erkranken daran 5.000 bis 6.000 Menschen und 2018 starben dadurch 129 Patienten vornehmlich im hohen Alter. Mit HIV sind etwa 90.000 Personen infiziert, jährlich kommen 2.500 dazu und in 2018 starben daran etwa 450 Menschen. Mit diesen Zahlen oder besser Patientenschicksalen geht die Medizin täglich routiniert und, soweit sie es kann, auch heilsam um.

Das Coronavirus
Gegenwärtig haben wir in Deutschland (Coronavirus Monitor und RKI Daten vom 26.3.2020) 43.211 Infektionsfälle durch das neue SARS-CoV-2 Virus, also gesicherte Corona Infektionen. Der tägliche Zuwachs seit dem 15.3.2020 lag bei 1.043, 2.434, 2.088, 2.967, 3.003, 4.528, 2.407, 2.618, 4.183, 3.935, 4.332 und am 26.3.2020 bei 5.888 Fällen. Die täglich festgestellten SARS-CoV-2 Infektionen nehmen kontinuierlich zu und die Zuwächse haben sich in 10 Tagen verfünffacht. Dahinter steckt eine exponentielle Wachstumskurve der Infektionen, von denen aber nur ein Teil gemessen wird. Viele Infektionen werden nicht entdeckt, da die infizierten Personen nicht krank werden. 262 Personen sind seit dem 10.3.2020 verstorben. Die Zahl der täglichen Toten nimmt ebenfalls zu, vom 19. bis zum 22.3. waren es 10 bis 20 Fälle pro Tag, am 23. und 24.3. knapp 30, am 25.3. bereits 47 und jetzt am 26.3. sind es 56 neue Todesfälle. Bereits wieder gesund geworden sind 5.678 Personen.

Nur einige der infizierten Personen, schätzungsweise etwa 5.000 Patienten, sind im Krankenhaus. Leider gibt es keine Statistik über die laufenden Krankenhausbehandlungen. Berlin meldet am 26.3.2020, dass 1.937 Personen infiziert und am Coronavirus erkrankt sind. Im Krankenhaus isoliert und behandelt werden 235 Personen und 46 Menschen benötigen intensivmedizinische Behandlung. Alle anderen Personen sind häuslich isoliert. Fünf Patienten sind verstorben. Danach wären schätzungsweise 5.200 Patienten deutschlandweit im Krankenhaus und 1.000 Patienten auf der Intensivstation.

Wir wissen nicht genau, wie sich die Infektion aber in der Bevölkerung ausbreitet, da eben viele Menschen ohne Symptome mit dem Virus fertig werden. Sie erkranken nicht an COVID19. Die Zahlen der infizierten und verstorbenen Corona Patienten sind im Vergleich zum sonstigen Infektionsgeschehen mit 80 täglichen Todesfällen allein durch Lungenentzündungen, 223 durch Influenza und Grippe und insgesamt 2.500 Menschen, die an den bisher bekannten Krankheiten sterben, noch nicht wirklich viel. Bisher gibt es also keine Corona Todesfälle, die den Rahmen des üblichen Sterbegeschehens in Deutschland sprengen.

Aber: wir müssen weiter mit einem starken Wachstum der Coronavirus Erkrankungen rechnen. In den kommenden Monaten werden sich gut 50 Millionen Menschen in Deutschland mit dem Corona-Virus infizieren. Wenn sich die Ausbreitung nur auf 10 Monate verteilt, wären dies 5 Millionen infizierte Menschen von denen 10% bis 20%, also eine halbe bis eine Million Krankheitssymptome entwickeln und medizinische Hilfe brauchen. Schwer krank werden 100.000 bis 200.000 Menschen mit intensivmedizinischem Behandlungsbedarf. Bei einer Mortalität von 1,0 Prozent der erkrankten Personen sterben monatlich 5.000 Menschen. Eine solche Epidemie würde die vorhandenen Kapazitäten des Gesundheitssystems voll beanspruchen, alle vorhandenen Betten brauchen und damit ein echtes Versorgungproblem verursachen. Diese Annahmen sind eher optimistisch als pessimistisch. Je langsamer sich die Infektionen also ausbreiten, desto einfacher ist die notwendige Versorgungsaufgabe zu bewältigen.

Das Gesundheitswesen in Deutschland betreibt insgesamt 500.000 Krankenhausbetten und ca. 28.000 Intensivbehandlungsplätze. Knapp 20 Millionen Behandlungsfälle fallen jährlich an. Auf zwei Jahre verteilt oder auch bei einer hohen Zahl symptomfreier Menschen, deren Infektion gar nicht gemessen wird, ist das Corona Virus eine überschaubare Herausforderung. Wenn sich die jetzigen Zahlen verzehnfachen sind 52.000 Krankenhausplätze und 10.000 Intensivbetten notwendig. Das wäre noch zu schaffen. Diese Größenordnung an Patienten wurde auch bei der Grippeepidemie 2017/18 versorgt. Es geht jetzt aber weiter darum, die Verbreitung der Infektionen zu verlangsamen und besonders gefährdete Bevölkerungsgruppen aktiv schützen.

Die ständigen Infektionskrankheiten Die jährlichen Grippewellen und auch die bakteriellen Infektionskrankheiten verursachen für unsere Krankenhäuser seit Jahren schon Belastungen und Herausforderungen in einer vergleichbaren Dimension.

Die Grippesaison 2019/20 hat nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) bis zum 20.3. 2020 insgesamt 177.009 Influenzafälle labordiagnostisch bestätigt. Die Zahl der Menschen, die wegen Influenza eine Haus- oder Kinderarztpraxis aufgesucht haben, schätzen die Grippe-Experten auf 4,2 Millionen. Über 28.320 Patienten wurden hospitalisiert und 323 Menschen sind an Influenza verstorben. Einen Höchstwert mit 20.629 neuen Grippefällen verzeichnete die Woche vom 1.2. bis zum 7.2.2020.

Die Grippesaison 2017/18 war mit 25.100 Todesfällen durch Influenza die schlimmste Grippewelle seit 30 Jahren. Rund neun Millionen Arztbesuche waren damals zu verzeichnen. 5,3 Millionen Menschen wurden arbeitsunfähig krankgeschrieben oder als pflegebedürftig beurteilt. Geschätzt wird, dass sich damals 25 Millionen innerhalb von 15 Wochen angesteckt haben. Die Anzahl der Infizierten hat sich also alle 4 Tage verdoppelt. Besonders betroffen war die Altersgruppe der 35- bis 59-Jährigen. Die Anzahl der Krankenhausbehandlungen umfasste 60.000 Menschen ab dem 35. Lebensjahr. Das RKI meldete aber nur 334.000 labordiagnostisch bestätigte Influenza-Kranke und 1.674 nachweislich daran verstorbene Patienten. Unter Einbezug der Dunkelziffern wurde berechnet, dass es durch die Influenza zu den 25.100 vorzeitigen Todesfällen in Kombination mit anderen schweren Erkrankungen gekommen war. Das sind dann in der Grippesaison täglich 140 Todesfälle, die sich im Februar und März häufen. Danach, also unter Einbezug der Dunkelziffer, müssen wir für die laufende Saison 2019/20 mit etwa 4.000 Todesfällen in der Kombination von Influenzaviren und schweren chronischen Erkrankungen rechnen. Die Grippeviren verkürzen oft einen ohnehin bereits laufenden Sterbeprozess.

Schlussfolgerung
Also: wenn wir die Verbreitung der Corona Viren wirksam verzögern und eine wachsende Immunisierung großer Bevölkerungskreise längerfristig über zwei Jahre erreichen, ist das Geschehen vom Gesundheitswesen zu bewältigen. Es wird schwierig, aber nicht unbeherrschbar bedrohlich. Der Höhepunkt der Herausforderung tritt vermutlich von Juni bis August 2020 ein und dann kommt ähnlich wie bei der Grippe ein kontinuierliches, aber nicht außergewöhnliches Krankheitsgeschehen. Darauf können wir uns in der Krankenversorgung vorbereiten und einstellen. Es hängt alles von dem Zeitpunkt ab, bei dem die gegenwärtig täglich steigenden Zahlen sich stabilisieren und wieder zurückgehen.

Bis zu 80 Todesfälle täglich durch Lungenentzündungen im Zusammenhang mit dem Corona Virus fallen noch nicht aus dem Rahmen des Sterbens, das täglich in Deutschland geschieht. Die bekannten Infektionskrankheiten sind bereits in diesem Umfang tödlich und bezogen auf die 2.500 täglichen Todesfällen in Deutschland würden 80 zusätzliche Todesfälle durch das Corona Virus noch in einer normalen Größenordnung liegen. Die Grippeepidemie 2017/8 ging über sechs Monate mit 140 Todesfällen pro Tag einher. Die Angst und Panik im Umgang mit der aktuellen Situation werden durch solche Vergleiche nicht gemindert. Die tägliche Katastrophenberichterstattung zu den einzelnen Todesfällen im Zusammenhang mit dem Corona Virus wirkt realitätsfremd und vermittelt ein Gefährdungsgefühl, das die Verhältnisse verdunkelt, die Menschen verängstigt und ihnen keine Transparenz der Situation vermittelt. „Die Nennung von Fällen ohne Bezugsgrößen ist irreführend“, sagt das Deutsche Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e.V. in seiner Stellungnahme: Die Nennung der Toten durch das Coronavirus ohne Bezug zu anderen Todesursachen führe zur Überschätzung des Risikos. „Die Angaben zu den Todesfällen durch Covid-19 sollten daher entweder die täglich oder wöchentlich verstorbenen Personen mit Angabe der Gesamttodesfälle in Deutschland berichten. Auch ein Bezug zu Todesfällen durch andere akute respiratorische Infektionen wäre angemessen.“

Da durch COVID-19 überwiegend ältere und kranke Menschen versterben, wäre gerade ein Vergleich mit den anderen akuten respiratorischen Erkrankungen sinnvoll. An der Grippe versterben gegenwärtig jeden Tag 22 Menschen und in früheren Jahren waren es täglich bis zu 170 Tote. Die Mitteilung der Corona-Toten bezogen auf die sonstigen Todesfälle durch Infektionskrankheiten und andere Ursachen wäre gute Risikokommunikation. Ohne einen Vergleich zum täglichen Sterben in der Bevölkerung wird eine falsche Realitätssicht induziert und den Menschen das Gefühl vermittelt, dass das Corona Virus die einzige Gefahr für das Leben wäre. Das macht Angst und Stress. Psychosozialer Stress ist ein Faktor, der das individuelle Immunsystem und damit die individuelle wie soziale Abwehrlage auch gegenüber dem Corona Virus beeinträchtigt. Die Panik, Angst und Einsamkeit entwickelt sich dann zu einem eigenen Krankheitsfaktor insbesondere bei älteren und sozial vernachlässigten Menschen.

2. Die Verhältnisse in Italien, Südkorea und in der ganzen Welt

Die Katastrophe in Italien
Das Geschehen in Italien beängstigt uns alle. Italien meldet mit Stand vom 26.3.2020 insgesamt 80.589 Coronavirus-Fälle, 10.038 mehr waren es am 24.3. und 5.210 am 25.3. und jetzt am 26.3.2020 sind 6.413 dazugekommen. Bereits wieder gesund sind 10.361 Patienten. Insgesamt 8.247 Patienten sind verstorben. Die zugenommenen Zahlen der täglichen Todesfälle ab dem 15.3.2020 betrugen 368, 717, 345, 475, 427, 627, 793, 651, 601, 743, 683 und am 26.3.2020 dann 744 Fälle. Das ist hoch dramatisch, da diese Corona Toten die täglichen Sterbefälle in Italien um 20 bis 40 Prozent erhöhen. Die Zahlen bleiben hoch und scheinen sich bei 700 Toten pro Tag zu stabilisieren.

Das Versorgungssystem in Italien ist der aktuellen Herausforderung, nach den vorhandenen Berichten über die Verhältnisse in den Krankenhäusern, nicht gewachsen. Hinzu kommt, dass regionale Zuspitzungen der Krankheitszahlen auch regionale Überlastungen ebenso wie Dekompensationen des jeweiligen Systems zur Folge haben. Auch junge Ärzte und Krankenschwestern sterben durch das Corona Virus und die dadurch verursachten Lungenentzündungen. Der Allgemeinmediziner Roberto Stella aus Busto Arsizio bei Mailand und Vorsitzender der Ärztevereinigung der Region Varese starb vor wenigen Tagen mit 67 Jahren in einem Krankenhaus von Como, weil keine Beatmungsgeräte verfügbar waren. Eine italienische Nachrichtenagentur (Ansa) meldet am 19.3.2020, dass bisher 13 Ärzte und 18 Geistliche verstorben sind.

Die Region um Bergamo in der Lombardei berichtet insgesamt von über 1.000 Todesfällen durch das Corona Virus. In der Provinz Bergamo sterben sonst am Tag nur etwa 30 und in einem Monat nur etwa 900 Menschen. Normalerweise sterben in der Stadt Bergamo etwa 4 Menschen pro Tag. 60 Tote an einem Tag sind da unfassbar schlimm. Unter normalen Verhältnissen verzeichnet die Lombardei 325 Sterbefälle pro Tag. Am 23.3.2020 waren es zusätzlich 320 Corona Sterbefälle, eine Verdoppelung. Fast 70% der Corona Todesfälle aus Italien sind Menschen aus der Lombardei. Die kleine Stadt Nembro nahe Bergamo mit ihren 11 500 Einwohnern erlebt unter normalen Zeiten 2-3 Todesfälle pro Woche. Jetzt sterben 30 bis 40 Menschen pro Woche, also 10 bis 20-mal mehr. Von den 600 Hausärzten in der Region sind 140 an COVID-19 erkrankt. Die Situation in Italien ist katastrophal und die Ärztinnen, Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger sind in einer nicht mehr ertragbaren Lage.

Wir können trotzdem die italienischen Verhältnisse ebenso wie in Deutschland mit dem normalen Sterbegeschehen vergleichen, um die Sterbefälle durch das SARS-CoV-2 Virus in ihrer Bedeutung besser einzuschätzen. Jeden Tag sterben in Italien etwa 1.900 Menschen und davon 700 Personen durch Herz-Kreislauferkrankungen, 490 durch Krebs und 140 an Krankheiten des Atmungssystems. Bakterielle oder virale Lungenentzündungen verursachen täglich etwa 60 und über das ganze Jahr verteilt insgesamt 22.500 Todesfälle. Die Corona Fälle steigern zurzeit die schweren Lungenentzündungen um das 5 bis 10 fache der sonst üblichen Häufigkeiten. Die regionale Ballung des Geschehens verursacht in der Lombardei nicht 10 Todesfälle durch eine Lungenentzündung, sondern insgesamt etwa 300 am Tag. Aber insgesamt sind die Todesfälle bezogen auf die Gesamtsterblichkeit immer noch gering. In Italien sterben pro Jahr etwa 630.000 Personen. Die jetzigen Todesfälle durch COVID-19 liegen in der Größenordnung von 1,5 Prozent.

Die aktuellen Daten aus Italien zeigen nicht, wie hoch die Infektionsraten mit SARS-CoV-2 tatsächlich sind und ob die täglichen Sterbefälle im ganzen Land jetzt bei 2.500 liegen, das Coronavirus also im Vergleich zu den sonstigen tödlichen Krankheiten tatsächlich viele zusätzliche Fälle produziert. Wissenschaftler sprechen von Übersterblichkeit, wenn in einem Jahr überdurchschnittliche Todeszahlen durch eine neue Krankheit zu verzeichnen sind. Nach den Zuständen in einigen Krankenhäusern in Norditalien ist davon auszugehen, dass es regional eine hohe Übersterblichkeit und dort sogar eine Verdoppelung und Verdreifachung der täglichen Todesfälle gibt. Zurzeit ist noch nicht abzusehen, wann ein Rückgang der bisher täglichen Infektions- und Sterbezahlen eintreten wird.

Das italienische Institut für Gesundheit (ISS) hat mit einer Studie die Daten von 2.500 Covid19-Todesopfern analysiert. Mehr als 99 Prozent der Menschen, die an den Folgen einer Coronavirus-Infektion gestorben sind, haben danach unter Vorerkrankungen gelitten. Nach den Krankenakten von einem Teil der Gruppe hatten nur 0,8 Prozent der Untersuchten vor der Infektion keine Vorerkrankungen. 48,5 Prozent der Todesopfer litten unter mindestens drei Vorerkrankungen. Bei 25,6 Prozent wurden zwei und bei 25,1 Prozent eine Vorerkrankung festgestellt. Mehr als drei Viertel der Untersuchten hatten hohen Blutdruck, mehr als ein Drittel Diabetes. Bei jedem dritten Verstorbenen lag eine Herzkrankheit vor. Das Durchschnittsalter der gestorbenen Menschen betrug 79,5 Jahren. Bis zum 17. März waren 17 Personen unter 50 Jahren an der Krankheit gestorben und bei den Todesopfern unter 40 Jahren handelte es sich ausschließlich um Männer mit schwerwiegenden Vorerkrankungen – etwa Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Nierenleiden oder Diabetes.

Der Erfolg in Südkorea
Italien hat 60 Millionen Einwohner, Südkorea 50 Millionen. Ähnlich und früher betroffen als Italien verzeichnet Südkorea am 26.3.2020 insgesamt aber nur 9.241 Coronavirus-Fälle, 4.144 bereits wieder gesunde Patienten und 131 Todesfälle. Ebenso wie China, Taiwan, Hongkong und Singapur hat auch Südkorea die Coronavirus-Infektionen weitestgehend unter Kontrolle gebracht. Mit drakonischen Maßnahmen schaffte dies China. Die anderen Staaten setzten stattdessen auf die Information der Bevölkerung, viele und vor allem leicht zugängliche Virentests und auf schnelle Entscheidungen bei vorhandenen Infektionen. Das soziale Leben musste dabei nicht komplett gestoppt und eine totale Isolation für Regionen und Gruppen ebenfalls nicht angeordnet werden. Auch Ausgangssperren unterblieben.

Die Menschen hielten sich in Südkorea aus eigenem Antrieb an die Regeln der Rücksichtnahme, der Vorsicht und der allgemeinen Hygiene. Jetzt sind die Neuinfektionen in der Größenordnung von 100 Fällen täglich. Die flächendeckenden Testkapazitäten sind eine Folge der Erfahrungen mit dem SARS-assoziierte Coronavirus und der dadurch ausgelösten Pandemie 2002/2003 in Asien und der Epidemie durch das MERS-Coronavirus, das sich 2015 und 2016 in Südkorea besonders verbreitet hatte. Dadurch waren Staat und Bevölkerung sensibilisiert und vorbereitet. Mehr als 500 Testkliniken darunter 40 Drive-in-Stationen haben hinreichend schnelle und allgemein verfügbare Tests ermöglicht. Die konsequente Früherkennung infizierter Personen hat auch geholfen, die Krankheit schnell zu behandeln und Todesfälle zu minimieren. Staatliches Handeln und die selbstverständliche Anstrengung der betroffenen Menschen, also bürgerschaftliche Selbstorganisation hilft real, die Epidemie zu bewältigen.

Die globale Lage Weltweit sind gegenwärtig 524.884 Menschen mit dem SARS-CoV-2 Virus infiziert (Stand vom 26.3.2020). Die Zahl umfasst die bestätigten Messungen. Fachleute gehen aber davon aus, dass in den einzelnen Ländern etwa 10-mal mehr Menschen symptomfrei oder nur mit leichten Beschwerden infiziert wurden. Wieder gesund geworden und die Covid-19 Krankheit überwunden haben 120.671 Personen. Am Coronavirus gestorben sind bisher weltweit 23.698 Menschen. Täglich kommen etwa 2.500 Todesfälle dazu.

Die Corona Pandemie umfasst in Europa am 26.3.2020 insgesamt 284.977 bestätigte Infektionen. Der tägliche Zuwachs liegt bei 35.000 Personen. Vermutlich sind aber weit mehr als zwei Millionen Menschen infiziert. Als wieder gesund werden 29.624 Personen gemeldet. Insgesamt 16.247 Menschen sind gestorben. Am 25.3. waren es 2.011 Todesfälle und am 24.3.2020 starben 2.097 Menschen, also täglich sterben etwa 2.000 Menschen in Europa im Zusammenhang mit dem Corona Virus. Italien meldet am 26.3.2020 insgesamt 8.247 Todesfälle, Spanien 4.154, Frankreich 1.696, Großbritannien 578, Niederlande 434, Deutschland 262, Schweiz 191, Belgien 220, Schweden 71 und Österreich 49 Todesfälle. Die USA verzeichnen 1.178 und der Iran 2.234 Todesfälle.

Die bedeutsamen Infektionskrankheiten: Tuberkulose und HIV Es ist sinnvoll und lässt das Corona Geschehen einordnen, wenn wir die jetzigen Daten auf andere Krankheiten beziehen. Weltweit gehört immer noch die Tuberkulose neben HIV/AIDS und Malaria zu den häufigsten Infektionskrankheiten. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erkranken jährlich fast 9 Millionen Menschen an einer Tuberkulose und etwa 1,4 Millionen Menschen sterben jedes Jahr an den Folgen dieser Krankheit, oftmals aufgrund einer unzureichenden Behandlung. Die Tuberkulose ist weltweit die tödlichste Infektionskrankheit bei Jugendlichen und Erwachsenen und die führende Todesursache bei HIV-Infizierten.

Auf Europa entfallen schätzungsweise nur 5% aller weltweit auftretenden TuberkuloseNeuerkrankungen. Das sind dann etwa 450.000 Infektionen und 70.000 Todesfälle pro Jahr. Für Europa ist auch die Tuberkulose die bedeutsamste Infektionskrankheit. Ende 2018 lebten weltweit 37,9 Millionen Menschen mit HIV und neu in diesem Jahr infizierten sich 1,7 Millionen Menschen. 770.000 Menschen sind im Zusammenhang mit ihrer HIV-Infektion gestorben. In Deutschland starben 2018 an HIV 440 bis 460 Patienten.

Das jährliche Sterben durch Tuberkulose oder das Aids-Virus übersteigt bei Weitem die gesundheitliche Bedeutung des Corona Virus zum jetzigen Zeitpunkt in Europa und noch mehr weltweit.

Pandemien und Epidemien Die Spanische Grippe durch das Influenzavirus A/H1N1 von 1918 bis 1920 führte weltweit zu 20 bis 50 Millionen Todesfällen. Von 1957 bis 1958 hat die Asiatische Grippe mit dem Influenzavirus A/H2N2 eine bis vier Millionen Tote verursacht. In Deutschland starben dadurch 29.000 Menschen. Von 1968 bis 1970 ging die Hongkong Grippe mit dem Influenzavirus A/H3N2 ebenfalls mit ein bis vier Millionen Todesfällen einher. In Deutschland starben daran 30.000 Menschen. Die Russische Grippe mit dem Influenzavirus A/H1N1 tötete 1977 und 1978 weltweit 700.000 Menschen, vor allem Kinder und Jugendliche. Die SARS-CoV Pandemie mit einem Coronavirus von 2002 und 2003 verzeichnete aber nur 774 Todesfälle. Diese erste Pandemie des 21. Jahrhunderts war ein Medienereignis und beängstigte die Menschen weltweit und vor allem auch in Europa. Außerhalb Asiens starben aber nur 45 infizierte Menschen. Deutlich wurde, wie sich in einer vernetzten und globalisierten Welt Infektionskrankheiten verbreiten und gefährliche Auswirkungen haben können.

Die Vogel-Grippe mit dem Influenzavirus A/H5N1 führte von 2004 bis 2016 weltweit zu 450 Todesfällen und die Schweine-Grippe von 2009 bis 2010 ging nach Schätzungen mit 100.000 bis 400.000 Toten einher. In Deutschland starben dadurch 258 Menschen. Die MERS-CoV Virusgrippe 2012 bis 2013 hatte über 850 Todesfälle verursacht und die Ebola Viruskrankheit tötete von 2014 bis 2016 in Westafrika 11.316 und 2018 im Kongo und in Uganda 1.600 Menschen.

Grippewellen Die Influenza geht in Deutschland jährlich mit mehreren tausend Todesfällen einher, vor allem an den Folgen einer Lungenentzündung durch bakterielle Superinfektion. Die Übersterblichkeit durch Influenza betrug in Deutschland für 1995/96 etwa 30.000, für 2012/2013 etwa 29.000 und für 2017/18 etwa 25.000 zusätzliche Todesfälle. Die Influenza wird durch Grippeviren ausgelöst. Erkältungen oder „grippale Infekte“ dagegen werden von zahlreichen Erregern verursacht. In Deutschland kommt es in den Wintermonaten nach dem Jahreswechsel zu Grippewellen mit unterschiedlicher Ausbreitung und Schwere, an denen verschiedene Virusarten und auch Corona Viren beteiligt sind. Influenzaviren verändern sich ständig und bilden häufig neue Varianten. Durch diese Änderungen kann man sich im Laufe seines Lebens öfter mit Grippe anstecken und erkranken. Deshalb muss auch der InfluenzaImpfstoff nahezu jedes Jahr neu angepasst werden. Er wirkt nie gegen alle, sondern nur gegen einen Teil der virulenten Grippeerreger.

Schlussfolgerung
Viren kommen, sie verändern sich, Viren gehören zum Leben. Nicht alle Viren in unserer Umgebung befallen den Menschen. Und nicht alle Viren, die den Menschen befallen, machen krank. Ein gesundes Immunsystem reagiert schnell und bekämpft die Eindringlinge oft mit Erfolg. Für einen Tierarzt sind Corona Viren etwas Alltägliches. Viren, die in der Natur und Tierwelt vorkommen, können die Grenze zu einem menschlichen Organismus überschreiten. Das passiert regelmäßig. So kommen dann neue Varianten bereits bekannter Viren unter die Menschen. Das Coronavirus SARS-CoV-2 ist jetzt da und wird wie die Grippeviren bleiben. Seine Aggressivität ist gegenwärtig etwas höher als die der Influenza Viren und deshalb verbreitet es sich so schnell. Mit der Zeit und mit einer fortschreitenden Immunisierung vieler Menschen wird die Gefährlichkeit abnehmen und dann ist es ein Krankheitserreger wie viele andere Viren auch, die kommen und gehen.

Das Masernvirus ist so gekommen, Ebola, Aids oder die zahlreichen Influenzaviren. Die SARS- und MERS-Erreger sorgten 2003 und 2012 für öffentliche Aufmerksamkeit, andere Corona Viren sind nur Fachleuten bekannt und zirkulieren auch seit Jahren als Erkältungsviren in der Bevölkerung. Jedes Jahr verursachen die Grippe- und Influenzaviren weltweit zwischen 290.000 und 645.000 Todesfälle schätzt ein internationalen Forschernetzwerks unter Federführung der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC. Das österreichische Ärztezeitung (ÖÄZ2020/4) berichtet am 25.2.2020, dass die jährliche Mortalität infolge von Influenza in Europa auf etwa 45.000 Todesfälle geschätzt wird. Das seien elf Prozent der weltweiten Influenza-Mortalität. Vor allem Kinder unter fünf Jahren und Erwachsene über 65 Jahren sind betroffen. Im Zeitraum von 1999 bis 2015 wurden 34,1 Prozent der hospitalisierten Fälle intensivmedizinisch behandelt. Die Mortalität der Krankenhauspatienten lag bei 12,1 Prozent, wobei ältere Patienten mit 18 Prozent die höchste Sterblichkeit aufwiesen. COVID-19 hat jetzt die Hälfte der sonst anfallenden Grippemortalität in Europa erreicht. Wenn gegenwärtig nur 10 Prozent der infizierten Personen durch die Messungen erreicht werden, ist die Wahrscheinlichkeit gegeben, dass die jetzige Pandemie eine tödliche Wirkung entfaltet, die mit schweren Grippepandemien vergleichbar ist. Dann könnten in Europa wie bei der nicht spektakulär empfundenen Influenzawelle 2017/18 insgesamt bis zu 450.000 und in Deutschland bis zu 30.000 Todesfälle auftreten. Es gibt aber auch eine gute Wahrscheinlichkeit, dass es nicht so schlimm kommt.

3. Ausblick
Auch SARS-CoV-2 wird nach dem jetzigen Ausbruch relativ bald in der Bevölkerung eine Basisimmunität anregen und dann immer wieder zu Erkrankungsfällen führen. Das ist jetzt schon daran zu erkennen, dass Kinder und junge Erwachsene nach einer Corona Infektion kaum schwer erkranken. Wir werden künftig ein weiteres Erkältungsvirus haben und damit so gelassen umgehen wie mit den bisherigen Erkältungsviren vom Nicht-Influenza Typ. Wir wissen aber noch nicht, wie lange der erste Ausbruch des SARS-CoV-2 Virus unterwegs ist, bis er vierzig bis siebzig Prozent der Bevölkerungen infiziert und immunisiert hat. An diesem Virus werden aber genauso alte, beeinträchtigte und hinfällige Menschen sterben wie an Lungenentzündungen und allgemeinem Organversagen auch bisher schon. Mit 80 bis 100 Todesfällen täglich ist das in Deutschland und mit 60 bis 70 Todesfällen täglich durch Lungenentzündungen ist das auch in Italien Bestandteil des normalen und natürlichen Sterbegeschehens. In Italien wird diese Vergleichszahl deutlich überschritten und 10-mal mehr tödliche Lungenentzündungen pro Tag, als bisher gewohnt, erklärt die drastischen Maßnahmen und die bedrohliche Situation insbesondere in der Lombardei. In Deutschland ist das „Social Distancing“ jetzt umgesetzt und kommt im laufenden Epidemie Prozess vergleichbar früher als in Italien. Nach den Erfahrungen in Südkorea kann konsequente öffentliche Aufklärung, schnell zugängliche und breit angelegte Messungen und vor allem bürgerschaftliche Selbstorganisation wirksam zur Eindämmung der Infektionsausbreitung beitragen.

Es steht außer Frage, dass der Coronavirus Sars-CoV-2 anders und gefährlicher ist als andere Coronaviren, die grippeähnliche Symptome machen, aber auch weniger tödlich als die Coronaviren Sars-CoV in den Jahren 2002/3 und Mers-CoV in 2012/3. Die Wissenschaftler sind sich dabei auch nicht ganz einig. Seriöse Epidemiologen weisen darauf hin, dass Corona Viren als typische Erreger von Erkältungskrankheiten jedes Jahr für Millionen von Infektionen verantwortlich sind und diese banalen Erkältungskrankheiten in bis zu 8% der betroffenen, älteren und multimorbiden Menschen tödlich enden. Der einzige Unterschied zu SARS-CoV-2 könnte sein, dass die Infektionen mit Corona- und Influenza-Viren bisher nicht umfassend gemessen wurden.

Die epidemiologische Situation in Südkorea macht Hoffnung, Italien ist zum Verzweifeln. Entscheidend wird letztlich sein, ob das Sterben am Coronavirus Sars-CoV-2 die täglichen Todesfälle insgesamt erhöht und wirklich mehr Sterben als normal zur Folge hat. Das Deutsche Netzwerk EbM kommt zu folgendem Fazit: „Es gibt insgesamt noch sehr wenig belastbare Evidenz – weder zu COVID-19 selbst, noch zur Effektivität der derzeit ergriffenen Maßnahmen. Aber es ist nicht auszuschließen, dass die COVID-19 Pandemie eine ernstzunehmende Bedrohung darstellt, und NPIs (nicht-pharmakologische Interventionen) – trotz weitgehend fehlender Evidenz – das einzige sind, was getan werden kann, wenn man nicht einfach nur zusehen und hoffen will.“

Soziale Gesundheit
Ein gravierendes Problem allerdings bleibt: Robert Koch, der Namensgeber des RKI, sagte bei seinem Nobelpreis Vortrag zum Beziehungsverhältnis von Krankheitserreger und Menschen: „Das Bakterium ist nichts, der Wirt ist Alles.“ Der Arzt und Infektiologe Louis Pasteur war der gleichen Meinung: „Das Bakterium ist nichts, das Milieu ist alles.“ Der Sozial- und Umweltmediziner Max von Pettenkofer trank im Jahr 1892 öffentlich eine Flüssigkeit voller Cholerabazillen und blieb gesund. Er wollte zeigen, dass die Lebenswelt der Menschen für die Cholerakrankheit entscheidend sei. Und tatsächlich: Die Infektionskrankheiten wurden nicht durch die Segnungen der Medizin, sondern durch die gesellschaftliche Entwicklung gesunder Lebensverhältnisse besiegt. Pasteur, Virchow, Pettenkofer und Koch, die Helden der naturwissenschaftlichen Medizin, sorgten mit politischer und medizinischer Courage für „saubere Städte“ und gesündere Lebensräume und damit für ein neues Gleichgewicht zwischen Bakterien, Menschen und ihrem Gemeinwesen.

„Das Virus ist nichts, der individuelle Mensch ist alles“, gilt es jetzt zu erkennen. Wir können Glück haben und aus der Corona Krise mit einem Neuen Bewusstsein und einer neuen Beziehungskultur herauskommen. Das Virus spiegelt die Gefahren einer „kontaktreichen Beziehungslosigkeit“ und einer rivalisierenden wie konkurrierenden Konsumwelt von selbstbezogenen und rücksichtslosen Individuen, die das Geld zum einzigen Maßstab und Wert erhoben haben. Corona ist ein Menetekel, eine unheilverkündende Warnung vor einem falschen Weg in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Psychosozialer Stress, Ängste, Einsamkeit oder Ausgrenzung schwächen das individuelle und erst recht auch das soziale Immunsystem. Die junge Wissenschaft der Psychoneuroimmunologie belegt, dass Lebenszufriedenheit, möglichst viel positive Gefühle, gute Beziehungen, das Gefühl von Durchblick, Selbstbestimmung, Lebenssinn und Geborgenheit in der Gemeinschaft das Immunsystem stärkt und unsere Abwehrkraft gegen Viren oder Bakterien verbessert. In der Krise entscheidet sich, ob die Solidarität nach innen und außen die Oberhand gewinnt oder Egoismus und Selbstgerechtigkeit obsiegen.

Die Corona-Krise zeigt die hohe Anfälligkeit global vernetzter Systeme und unsere Abhängigkeit von anderen Menschen. Jetzt wird sich zeigen, ob unsere offene Gesellschaft ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Gemeinwohl und Individualismus hinbekommt. Es geht um ein soziales Bindegewebe, das gesundet und gesundheitsförderlich ausgestaltet ist. Individuelle Gesundheitskompetenz, gesunde Sozialentwicklung und ein neues menschliches Miteinander, also ein heilsames Milieu und achtsame Menschen in solidarischen Gemeinschaften sind die Stichworte für ein Gleichgewicht zwischen Viren, Menschen und ihrem Gemeinwesen. Und es braucht auch ein gesundes Gleichgewicht zwischen Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Staat. Leben und Wirtschaften im Einklang mit der Natur kommen hinzu. Nicht Wachstum, Nachhaltigkeit ist umzusetzen und Werte, nicht das Geld sind der Maßstab. Den dafür notwendigen Werte-Horizont und die dafür vorhandene Orientierung beschreibt Albert Einstein vortrefflich: „So sehe ich für den Menschen die einzige Chance darin, dass er zwei Einsichten endlich praktisch beherzigt: dass sein Schicksal mit dem der Mitmenschen in allen Teilen der Erde unlösbar verbunden ist und dass er zur Natur und diese nicht ihm gehört.“

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