Ameisensäure ermöglicht umweltfreundliche Enteisung von Landebahnen und Straßen – und bewährt sich in zahlreichen weiteren Anwendungen
Ameisen, Quallen und Laufkäfer setzen sie ein, um sich zu verteidigen und zu jagen. Dass sie Brennnesseln wirkungsvoll vor Fressfeinden schützen kann, haben auch viele Menschen schon zu spüren bekommen. Die Rede ist von der Ameisensäure. Bereits vor vielen Jahrhunderten hat die saure und stechend riechende Flüssigkeit aus der Natur die Neugierde der Menschen geweckt. Der englische Naturforscher John Ray hat die einfachste der Carbonsäuren erstmals im Jahr 1671 isoliert. Er erhitzte rote Waldameisen in einem Glaskolben und gewann aus dem Destillat eine saure Flüssigkeit, die er Ameisensäure nannte. Die chemische Synthese gelang 1855 dem französischen Chemiker Marcellin Berthelot. Das Interesse der BASF an Ameisensäure begann in den 1920er-Jahren. Als immer mehr Industriezweige die Carbonsäure einsetzten, startete das Chemieunternehmen 1935 die Produktion im großen Maßstab. Heute kennt die Nutzung von Ameisensäure kaum Grenzen. „Sie ist ein Universaltalent“, betont Dr. Tatjana Levy, Innovationsmanagerin im Unternehmensbereich Zwischenprodukte der BASF. Seit Jahrzehnten bewährt sich die Säure in vielen Anwendungen. In der Tierernährung konserviert sie Futtermittel, sie wird in der Leder- und Textilherstellung eingesetzt und ist Bestandteil von Ölfeldchemikalien. „Und es kommen laufend neue Applikationen dazu, die wir zusammen mit unseren Kunden entwickeln“, sagt Levy.
Flughäfen haben hohe Anforderungen an Enteisungsmittel
Auch Flughäfen in Europa zählen zu den Anwendern. „Sie enteisen mit den Salzen der Ameisensäure seit mehr als zehn Jahren ihre Landebahnen und Rollfelder“, erläutert Levy. Die Salze, auch Formiate genannt, sorgen dafür, dass Wasser nicht wie üblich bei null Grad Celsius gefriert. Der Gefrierpunkt sinkt je nach Konzentration des Enteisungsmittels auf bis zu minus 50 Grad Celsius und liegt somit deutlich unter der Außentemperatur. Dadurch entfernen Formiate schnell dünne Eisschichten und verhindern effektiv, dass Neuschnee auf der Landebahn liegen bleibt oder sich eine neue Eisschicht bildet. Gleichzeitig sind sie sehr umweltverträglich. „Gelangen die Salze der Ameisensäure zusammen mit dem Schmelzwasser in die Kläranlage des Flughafens, belasten sie das Abwasser wegen ihrer guten Bioabbaubarkeit und des geringen Sauerstoffbedarfs bei der Zersetzung weitaus geringer als andere Enteisungsmittel“, sagt Levy.
Der Winterdienst des Flughafens Zürich setzt seit 2005 Formiate ein. „Aus Sicherheits- und Umweltschutzgründen stellen wir besonders hohe Ansprüche an Enteisungsmittel“, betont Hanspeter Moll, Leiter Airfield Maintenance Operations am Flughafen Zürich. „Sie müssen schnell und lang anhaltend Startbahnen und Rollfelder enteisen, eine hohe Materialverträglichkeit aufweisen und zudem umweltfreundlich sein. Nach unseren Erfahrungen erfüllen die Salze der Ameisensäure im Vergleich zu allen anderen Enteisungsmitteln diese Anforderungen am besten.“
Immer mehr Kommunen entdecken die Vorteile der Formiate
Die positiven Erfahrungen der Flughäfen haben Kommunen und Städte auf Formiate als alternatives Enteisungsmittel aufmerksam gemacht. Viele Winterdienste in Skandinavien, der Schweiz und Österreich enteisen mit dem organischen Salz ihre Straßen, Rad- und Fußwege in sensiblen Bereichen wie Alleen mit altem Baumbestand oder in Stadtteilen mit vielen historischen Gebäuden. Die Stadt Basel entfernt seit vielen Jahren mit dem Taumittel den Restschnee von ihren Kunstrasenplätzen. „Wir räumen den Schnee und das Eis erst mechanisch“, erläutert Eric Hardman, beim Sportamt Basel-Stadt verantwortlich für die Sportanlagen. Anschließend schmelzen Formiate die verbleibende dünne Schneeschicht. Durch die starke Enteisungsleistung sind die Plätze bereits nach kurzer Zeit wieder bespielbar. „Uns hat zudem überzeugt, dass die Salze der Ameisensäure auch bei tiefen Temperaturen biologisch abbaubar sind und die Sportler nicht beeinträchtigen. Zudem überstehen die Kunstrasenplätze und Sportutensilien wie Bälle, Schläger, Tore oder Netze die kalte Jahreszeit unbeschadet, wenn Formiate als Enteisungsmittel eingesetzt werden“, sagt Hardman.
Der Winterdienst mit Formiaten ist zwar teurer als der mit Streusalz oder abstumpfenden Mitteln wie Granulaten oder Sand, doch der Beschaffungspreis relativiert sich, wenn die Folgekosten der verschiedenen Enteisungsmittel mit einkalkuliert werden. Streusalz auf Basis von Natriumchlorid stört im Boden den Wasser- und Nährstoffhaushalt der Pflanzen. Gebäude, Straßen und Brücken schädigt es durch seine korrosive Wirkung. Die Effektivität abstumpfender Mittel ist umstritten, ihr Einsatz erhöht die Feinstaubbelastung in den Städten und das Wiedereinsammeln nach dem Winter ist aufwendig. Die Salze der Ameisensäure hingegen sind umweltverträglich, wirken kaum korrosiv und halten Straßen und Gehwege zuverlässig eis- und schneefrei – ohne unerwünschte Nebenwirkungen. Neupflanzungen von Bäumen oder Sträuchern oder teure Reparaturen an Gebäuden nach dem Winter entfallen.
Die Natur ist und bleibt der größte Produzent
Die BASF zählt zu den weltweit größten Herstellern von Ameisensäure. Während in Asien, Südamerika und Südeuropa die Hauptmenge der Säure zur Lederverarbeitung eingesetzt wird, sind in Mittel- und Nordeuropa die Landwirtschaft und Futtermittelindustrie die wichtigsten Abnehmer. Produktionsanlagen für Ameisensäure betreibt die BASF in Ludwigshafen/Deutschland und Nanjing/China. Eine weitere Anlage wird 2014 am Standort Geismar im US-Bundesstaat Louisiana in Betrieb gehen. Damit wird das Unternehmen seine Jahreskapazität auf mehr als 300.000 Tonnen steigern.
Der größte Produzent für Ameisensäure ist die BASF damit aber nicht. Dies sind und bleiben die unzähligen Tiere und Pflanzen, die jährlich mehr Ameisensäure produzieren als alle Anlagen der chemischen Industrie zusammen – und dies seit vielen Millionen von Jahren.