Der Online- und Versandhandel boomt. Im Jahr 2013 ist der Umsatz mit Waren im Internet um 41,7 Prozent gewachsen, wie der Bundesverband des Deutschen Versandhandels bekannt gab. Dennoch ist das keinesfalls das Ende des stationären Handels. Statt eine „Pure-Player-Strategie“ zu verfolgen, setzen viele Unternehmen zunehmend auf einen Omnichannel-Vertrieb und eine integrative Vertriebsstrategie. Das hat für den Verbraucher viele Vorteile. Ein Beispiel: Ein Kunde informiert sich online über verschiedene Angebote und trifft eine Vorauswahl. Vor dem Kauf möchte er die Ware jedoch sehen und erleben. Attraktiv für solche Konsumenten ist es, wenn sie im Internet die Verfügbarkeit der Produkte in der nächsten Filiale prüfen können. Ebenfalls angenehm für viele Kunden ist es, wenn sie online gekaufte Waren im Laden zurückgeben können. „Auf einen Nenner gebracht heißt Omnichannel-Vertrieb: bestellen, kaufen, retournieren jederzeit und überall, von jedem Gerät, bar oder nicht bar, virtuell oder lokal. Das ist weit mehr als 'Multichannel' oder 'Crosschannel', erläutert Marek Matuszewski, Vertriebsleiter ERP bei der SIEVERS-GROUP, einem mittelständischen IT-Architekturhaus, das für seine Kunden individuelle und ganzheitliche IT-Lösungen zur strategischen Unternehmensführung entwickelt. Omnichannel meint nicht mehr nur die Verknüpfung von Vertriebskanälen, sondern deren Verschmelzung zu einem nahtlosen Einkaufserlebnis. Mit der richtigen Strategie kannibalisieren sich die Kanäle nicht, sondern pushen sich gegenseitig. Der Filialkunde ist anonym, der Onlinekunde hingegen nicht. Wird dieses Wissen genutzt, lassen sich Cross-Selling- und Upsellingpotenziale verwirklichen. Gleichzeitig stärkt das multisensorische Einkaufserlebnis im Laden die Beziehung zur Marke.
Schlüsselfaktor IT
Omnichannel erfordert ein ganzheitliches Konzept, das jeden Unternehmensbereich einbindet. „Die IT spielt beim Omnichannel eine wichtige Rolle. Sie muss die komplexen Szenarien abbilden und alle verfügbaren Daten, beispielsweise die multimedialen Stammdaten für jeden Absatzkanal, zu einem einheitlichen Content integrieren“, erläutert Matuszewski. Wichtigste Anforderung an die IT ist, dass sie die kanalübergreifende Steuerung der Prozesse und eine 360°-Sicht auf alle Bestellungen, Bestände und Warenauslieferungen gewährleistet. Damit die Verknüpfung der Kanäle funktioniert, sollte das System unterschiedliche Payment-Methoden, wie bar und unbar oder auch eine Verrechnung mit Anzahlungen oder Rückerstattungen, realisieren können. Wichtig ist auch, dass es alle Prozesse in Echtzeit verarbeiten kann. Nur dann hat der Kunde die Möglichkeit, Ware online anzuzahlen, den Rest in der Filiale zu begleichen und dabei zusätzlich einen Gutschein einzulösen. Zwei Lösungsmöglichkeiten zur Gestaltung der Softwarearchitektur stehen zur Verfügung: entweder ein Zusammenspiel aus verschiedenen Speziallösungen oder ein integriertes, omnichannelfähiges System. Beide Strategien haben jeweils Vor- und Nachteile.
Eine Software für jede Aufgabe – die gewachsene Architektur
Eine häufige Lösung ist die Best-of-Breed-Strategie: Das Unternehmen sucht sich die jeweils besten Spezialprogramme für einzelne Aufgaben aus. Diese werden dann über Schnittstellen miteinander verbunden. Attraktiv an dieser Insellösung ist, dass ein sukzessives Wachstum leicht machbar ist. Darüber hinaus bieten Speziallösungen zahlreiche Funktionalitäten. „Nachteilig wirken sich bei der Best-of-Breed-Strategie die Schnittstellen aus. Damit diese funktionieren, ist ein hoher Wartungsaufwand erforderlich. Andernfalls gehen Informationen verloren oder die Informationsbasis ist nicht einheitlich“, so Matuszewski. Verläuft der Datenfluss nicht simultan, passieren bei der Zahlungsabwicklung oder der Bestandsverwaltung Fehler, die sich unmittelbar beim Kunden bemerkbar machen. Insgesamt ist die Best-of-Breed-Strategie die kostspieligste Softwarearchitektur: Zum einen weil viele Funktionalitäten gekauft werden, die gar nicht erforderlich sind, und zum anderen muss viel in Know-how investiert werden, um die einzelnen Programme zu beherrschen.
Eine für alles: das integrierte System
Die für Omnichannel erforderliche kanalübergreifende Steuerung der Prozesse ist auch mit einem entsprechend dafür ausgelegten ERP-System möglich. Mit einer solchen integrierten Software können alle Geschäftsprozesse, die im Unternehmen anfallen, aus dem Warenwirtschaftssystem heraus abgewickelt werden – von der Lagerverwaltung über die Zahlungsabwicklung und die Preisfindung für alle Absatzkanäle bis hin zur Auswertung von Massendaten und Geschäftsabläufen. „Für viele Branchen werden Fachhandelslösungen angeboten, die exakt auf die jeweiligen Bedürfnisse zugeschnitten sind. So auch die von der SIEVERS-GROUP eingesetzte Einzelhandelslösung LS Retail auf Basis von Microsoft Dynamics NAV. Diese lässt sich, so wie viele weitere Standardlösungen, nochmals zusätzlich an den Anwender anpassen“, erklärt Matuszewski. Da ERP-Systeme über eine einheitliche Datenbasis verfügen, sind die Prozesse in Echtzeit möglich. Anders als eine IT-Struktur, die aus verschiedenen Einzellösungen zusammengesetzt ist, hat LS Retail keine Schnittstellen. Informationen können deswegen nicht verloren gehen und sind in Echtzeit verfügbar. „In der Praxis erweist sich die Tatsache nicht als störend, dass ein ERP-System über einen geringeren Funktionsgrad verfügt als eine spezialisierte Software. Für viele Kunden der SIEVERS-GROUP überwiegt der Vorteil der Integration“, so ERP-Experte Matuszewski. Schwierig an der integrierten Lösung ist der vergleichsweise hohe Aufwand, der mit der Implementierung verbunden ist. Die Einführung eines ERP-Systems ist immer mehr als eine reine Softwareeinführung, da viele Unternehmensprozesse überdacht werden müssen. Ein solches Projekt geht meist mit einem Wechsel in der Vertriebsstrategie einher. Sind diese Vorarbeiten geleistet, nimmt das Projekt durchschnittlich zwölf Monate in Anspruch. Matuszewski resümiert: „Ich rate immer dazu, langfristig zu planen, dabei jedoch nicht den Anschluss zu verlieren. Zwar ist es attraktiv, ein System mit wenigen Handgriffen aufzurüsten. Die Frage ist aber, ob die IT den Bedarf langfristig deckt. Wettbewerbsvorteile lassen sich heute noch mit einer ganzheitlichen, omnichannelfähigen Software realisieren. In ein paar Jahren werden Kunden den zusätzlichen Service meiner Einschätzung nach voraussetzen und denjenigen abstrafen, der ihn nicht bietet.“