Pro Jahr weisen mehr als 20 aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Beruflichen Trainingszentrum Leipzig (BTZ Leipzig) die Entwicklungsstörung Autismus auf. Die jungen Menschen im Alter zwischen 15 und 25 Jahren können schwer soziale und emotionale Signale einschätzen. Sie haben Probleme, auf Gefühle anderer Menschen einzugehen. Ihr Verhalten auf soziale Situationen ist oft anders, als es die Umwelt von ihnen erwartet. Dadurch fällt es Autisten schwer, sich im Lebens- und Arbeitsalltag zurecht zu finden und sich zu integrieren. Das Bundesumweltamt spricht davon, dass keine Zahlen über die Häufigkeit von Autismus in Deutschland vorliegen. „Derzeit wird eine weltweite Prävalenz von 0,6 % – 1 % angenommen. Bei Jungen tritt Autismus viermal häufiger auf als bei Mädchen.“
Im BTZ Leipzig ist man seit mehr als drei Jahren darauf spezialisiert, durch Stabilisierungs- und Integrationsmaßnahmen Menschen mit psychischen Erkrankungen einen Weg in Arbeit aufzuzeigen. Das multiprofessionelle Team im BTZ Leipzig hat einen Ansatz gefunden, die jugendlichen Autisten individuell auf die für sie so bunte und damit unstrukturierte, sich täglich verändernde Arbeitswelt vorzubereiten. „Gerade bei jungen Menschen haben wir die Chance, sie auf viele Dinge in ihrer Umwelt so einzustellen, dass es ihnen leichter fällt, sich zu integrieren“, weiß Thomas Eilers aus seiner täglichen Arbeit als Bildungsbegleiter im BTZ Leipzig zu berichten.
Oftmals wird Autismus im Kinder- und Jugendalter nicht erkannt. Probleme mit stundenlangem Stillsitzen und der damit einhergehenden motorischen Unruhe werden von ungeschulten Lehrkräften als Störbilder wie ADHS fehlinterpretiert. Der Lebensweg scheint vorgezeichnet. Hinzu kommen Probleme in der Familie, die oft auch mit der Situation überfordert sind und keine Hilfestellung bieten noch suchen. Hieraus ergeben sich weitreichende Folgen für den Zugang auf den Arbeitsmarkt.
Es ist ein tägliches Herantasten an die Jugendlichen, die wegen psychischer Erkrankungen spezielle Maßnahmen der Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme (kurz BvB) und der Inklusionsgestützten Erstausbildung (IngE) im BTZ Leipzig belegen. „Dabei stellen die Autisten eine kleine, aber besondere Gruppe für uns dar“, erklärt Christin Lippmann, Sozialpädagogin im BTZ Leipzig. Und doch werden die jungen Leute mit der besonderen Entwicklungsstörung gemeinsam mit den anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Gruppen integriert. „Wir trainieren dadurch die soziale Interaktion und die soziale Kompetenz mit allen“, sagt die Sozialpädagogin. So fühlen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit Autismus angenommen, trainieren mit anderen in einer Kleingruppe von acht bis zehn Personen. Man muss jedoch vieles dabei beachten: „Es braucht eigene Kommunikationsformen in der Stoffvermittlung. Autisten haben Probleme mit der Reizüberflutung, die sie in unserer Welt umgibt. So dunkeln wir die Räume ab, wenn die Sonne zu sehr einstrahlt. Die Arbeitsplatzbereiche bieten weniger Ablenkung. In Lehrbüchern decken wir beispielsweise Bilder zu, um die Konzentration ausschließlich auf die Texte zu lenken“, weiß Christin Lippmann zu berichten. Das erdrücke die jungen Leute nicht so sehr, denn Ablenkung könne demotivieren, so ihre Erfahrungen aus der Praxis.
Die aktuelle Krise um das Covid-19-Virus stellt auch für Menschen mit Autismus eine besondere Herausforderung dar. Die Alltagsstruktur, die bislang durch den Weg zum BTZ Leipzig und die Vorgaben von Unterricht, Trainings- und Beratungen geprägt war, ist unterbrochen worden. „Viele unserer Autisten können sich schwerer als andere in dieser Situation zurecht finden“, erläutert Marko Daubitz. Er leitet das Berufliche Trainingszentrum. „Sie sind nur mit hoher Anstrengung und Unterstützung in der Lage, sich ihren nun veränderten Tagesablauf zu organisieren. Besonders wird uns dies in den Beratungsgesprächen deutlich. Wir versuchen gegenzusteuern. Die Aufgaben, die wir ihnen geben, sind viel strukturierter und orientieren sich an einem festen Zeitplan, welchen wir mit den Teilnehmern abstimmen. In den psychologischen Betreuungsgesprächen nutzen wir eine videogestützte Online-Sprechstunde, um so die Kommunikation mit den Teilnehmern sicherzustellen. So geben wir unseren jugendlichen Autisten über die Ferne Halt.“
Der eingeschlagene Weg ist der Richtige. Darin sind sich nicht nur Christin Lippmann und Thomas Eilers mit ihrem Fachbereichsleiter Marko Daubitz einig. Das gesamte multiprofessionelle Team aus Bildungsbegleitern, Ausbildern, Trainern, Sozialpädagogen, Psychologen, Ergo- und Sporttherapeuten war an der Ausarbeitung der Konzeption für die spezielle Betreuung der Jugendlichen mit Autismus beteiligt. Alle, die Autisten im BTZ Leipzig betreuen, sind speziell geschult worden und bilden sich fortlaufend weiter.
„Man muss auf die Betroffenen reagieren. Wenn wir nicht ähnlich wie bei sichtbaren Behinderungen auch hier für ein barrierearmes Leben sorgen, verlieren wir wertvolle Menschen“, ist sich Thomas Eilers sicher. Man müsse sich Zeit für die Autisten lassen, um deren Entwicklungspotentiale zu erkennen, Stärken zu fördern und die Schwächen versuchen abzufedern. Das konzipierte Modell zeichnet sich als Erfolgsprogramm für die Menschen mit Autismus im BTZ Leipzig ab. Es ermöglicht ihnen, sich auf das spätere Arbeitsumfeld individuell vorzubereiten.
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Erstellt: Michael Lindner/BFW Leipzig
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BU: Autismus auch als Chance für den Arbeitsmarkt entdecken. © Brett Jordan/unsplash.com