Ökosysteme sind Liebesprozesse - Austausch und Dialog als Lebensprinzip
Den Blick auf´s Ganze – wie alles mit allem verbunden ist – ermöglichte Dr. Andreas Weber. In seinem Vortrag „Sein und Teilen“ erläuterte er Austausch und Dialog als Lebensprinzip. An Beispielen aus der Natur führt er plastisch vor Augen, wie alle Anwesenden alleine durch Ein- und Ausatmen die Luft, den Sauerstoff teilen und miteinander verbunden sind. „Ökosysteme sind Systeme, in denen gegeben wird und Gaben nötig sind, um sie zu erhalten, das ist die Basisregel in unserer lebendigen Welt“, sagt der Biologe und Philosoph. „Wir stehen ständig im Austausch, atmen ein, Pflanzen atmen ein, was wir ausatmen (Kohlendioxid) und geben uns Sauerstoff zurück, den wir einatmen. Sein und Teilen sei ein Überlebensthema. Lieben ist für ihn eine Praxis, die Leben spendet. Es gehe darum, sein zu können. Er sagt: „Dann wollen wir auch teilen.“ Eine gelingende Beziehung ist für ihn eine Allmende. Das bedeute: Ich erhalte Geschenke und bin verpflichtet, Gaben zu geben (zu teilen). Wir spüren es körperlich, wenn wir raus in die Natur gehen.
Jede gestorbene Liebe ist eine Umweltkatastrophe
„Wir würden am liebsten einen Vortrag vor dem Parlament halten, sagt Ulla Holm-Cöllen, die die Paarsynthese mit dem Begründer Michael Cöllen entwickelt hat. Sie haben die GIPP gegründet und kämpfen nun dafür, dass die Bedeutung von Liebe auch in gesellschaftlichen und politischen Zusammenhängen gesehen wird und auch in Unternehmen wirken kann. Das Buch „Lasst uns für die Liebe kämpfen“ hatte Michael Cöllen bereits vor 40 Jahren geschrieben. Heute geht es um Liebe trotz Zeitnot – so der Titel ihres Buches und Vortrags: „Es geht um die Zukunft der Liebe und damit um unsere Menschlichkeit. Wir alle befinden uns mitten in einem Krieg, im Krieg gegen die Natur. Statt mit der Natur im Einklang zu leben, wollen wir sie besiegen.“ „Jede Sekunde von Liebe ist kostbar, jede gestorbene Liebe ist eine Umweltkatastrophe für die Paare, für die Gesellschaft, für jedes Kind!“, sagen beide und erläutern zwei wesentliche Schritte, die in der heute allgegenwärtigen Zeitnot die Qualität der Liebe erhöhen. Sie nennen diese Zeit „Qualitative Paarzeit“. Wie das gehe? Mit geführter Zentrierung die Wahrnehmung verdichten und mit Dialog. Sie bieten eine kurze Übung an, in der die Partner mit geschlossenen Augen zur Ruhe kommen, sich anschließend in die Augen blicken, sich dabei auf ihre Wahrnehmung konzentrieren und sich dann über ihr Empfinden austauschen. Äußerst wirksam sei eine Möglichkeit zum Zeigen gegenseitiger Wertschätzung: Die Partner stehen sich gegenüber und verneigen sich mit geschlossenen Händen vor der Brust nacheinander vor dem anderen. Mit dem Ausprobieren wird es spürbar. Die Paartherapeuten plädieren für eine Zeitenwende in der Liebe – Kämpfen gegen Zeitdruck und Zeitnot. „Das kann keiner alleine, auch kein Paar, das können wir nur gemeinsam.“ Auch Streiten gehöre dazu und mache Sinn, allerdings nur, wenn der Streit auf ein Ziel gerichtet ist und fair geführt wird. Es lohne sich, denn tiefe Liebe steigere die Lebensqualität und nachweisbar die Lebenszeit um fünf Jahre.
Intimität bewahren
Unrecht klar zu benennen und sich klar zu bekennen sei extrem wichtig in jeder Beziehung, sagen die Weiterbildungsleitenden der GIPP Barbara und Udo Röser. „Es erfordert viel Mut und ist der erste große Schritt in einem Verzeihungsprozess“, so die beiden. In Ihrem Vortrag „Intimität und Sexualität in langjährigen Partnerschaften“ machten sie deutlich: Liebe ist Arbeit – kein Selbstläufer. Sie beschreiben, wie Sexualität durch Nähe wieder belebt werden könne, hier gebe es auch keine Altersgrenzen. Insbesondere in der Altersphase nehme die Intensivität durch Nähe zu. Auch ohne Sexualität sei Intimität möglich, bestätigt eine aktuelle Studie der Berliner Humboldt-Universität. Besonders bei einem Paar mit schwerstkrankem Partner spielt die emotionale Nähe eine wichtige Rolle. Sie laden zu einer Herz-Übung dazu ein.
Wie frei und selbstbestimmt sind Frauen heute?
Die Diplompsychologin Dr. Sandra Konrad wollte für ihr Buch „Das beherrschte Geschlecht“ wissen, wie frei und selbstbestimmt Frauen heute sind. Dazu führte sie Interviews mit 18- bis 45-jährigen Frauen, wertete Studien und Medien aus. Das Ergebnis trifft und macht betroffen: „Das Tabu des 21. Jahrhunderts ist nicht Sex, sondern Grenzen setzen. Massenmedien, Werbung und Pornografie zeigen heute die Verwechslung von vermeintlicher Selbstbestimmtheit mit Sexualisierung“, sagt Konrad. So werde im Sport Beach-Volleyballerinnen im Regelwerk unter Strafe vorgeschrieben, wie knapp die Hosen sein müssen während Männer in schlabbernden Shorts ganz ohne Strafe spielen dürfen. Erst seit 2016 wird ein Nein der Frau auch als Nein strafrechtlich anerkannt, erst seit 2021 ist Upskirting (Fotografieren unter den Rock) eine Straftat. Konrad bringt zahlreiche Beispiele auch aus der Politik, wo Frauen messbar im Parlament um 50 Prozent in ihren Redebeiträgen häufiger unterbrochen werden als Männer. Während bei Jungs Interessen im Vordergrund stehen, gehe es bei Mädchen vorrangig um Aussehen. „Ich merke, dass es so gewaltig ist, dass ich am liebsten in Resignation gehen möchte“, meldet jemand zurück. Auf die Fragen: „Wie können wir junge Frauen und Männer damit erreichen und was können wir tun?“ antwortet Sandra Konrad „Indem wir darüber sprechen! Bei Mädchen weniger auf das Äußere sehen, sondern auf ihre Aktivitäten, wie bei Jungs.“
Beziehungswunden heilen
Dr. Katharina Klees macht die Komplexität von traumatisierten Partnerschaften deutlich und stellt eindrücklich Kriegsfolgen als eine Ursache von Traumata dar. Mit ihrem Traum(a)Haus-Konzept hat sie ein Konzept zur Heilung von tiefliegenden Beziehungswunden entwickelt. Sie war lange wissenschaftlich tätig und hat festgestellt, dass bei Paaren, die sich häufig streiten, zu 95 Prozent traumatisierte Erfahrungen häufig auch bereits in der Eltern- und Großelterngeneration vorhanden sind. Sie liefert wissenschaftlichen Hintergrund und zeigt Gesten, die helfen können, wie die Würdigung durch tiefe Verneigung mit zusammengefügten Händen vor dem Herzen.
Wie findet man den richtigen Partner?
Wenn ein Partner unter Stress leidet, leide die Kommunikation um 40 Prozent, erfahren Teilnehmende im Workshop der Paarsynthese-Weiterbildenden Guido Loy und Petra Loy. Doch wie lässt sich unter diesen Bedingungen überhaupt der passende Partner finden? Die Journalistin Annabel Dillig hat für ihr Buch 16 Menschen gefragt und wollte auch im Selbstversuch wissen: „Was macht das mit einem, wenn man seine Haut zu Markte trägt?“ Sie nahm teil an Speed-Dating, hat unterschiedliche Partnerbörsen ausprobiert, Psychologen und Test-Entwickler befragt und Studien ausgewertet. Ungeschminkt und humorvoll beschreibt sie ihre Erfahrungen und kommt zu dem Schluss: „Online ist das neue Klassisch.“ 36 Prozent der Beziehungen entstehen heute online, am häufigsten nutzen Menschen ab 30 digitale Plattformen, in Deutschland haben 2021 rund neun Millionen Menschen Angebote von Kennenlern-Anbietern genutzt und die Zahlen der Paare, die zusammen bleiben unterscheiden sich offenbar unwesentlich von Paaren, die sich anders kennenlernen. Sie beschreibt einen neuen Pragmatismus besonders bei den 30- bis 40-Jährigen: Man gehe gezielt auf Suche, melde sich beispielsweise bei einer Börse an. Auch gebe es in der Mittelschicht heute eine hohe Akzeptanz von Paartherapie, damit bestätigt sie die Erfahrung von Michael Cöllen, der darüber hinaus nach 55 Jahren Erfahrung erfreut feststellt: „Wir sehen, dass es sich wandelt. Wir sehen immer mehr Männer mit Babys – das gab es zu unserer Zeit nicht.“
„Auf dem Symposion wurde deutlich, wie notwendig die Liebe gerade in unserer aktuellen Weltsituation für unser aller Überleben ist“, sagt Institutsleiter Peter Jakobs als Vertreter des Odenwald-Instituts. Mit einer Spendenaktion wurde Geld gesammelt, das der Verein THAT'S WHYnheim (www.thats-whynheim.de/) zur Unterstützung für die Ukraine erhalten hat.