"Um bei den großen Fragen gleichberechtigt mit den USA und China mitentscheiden zu können, ist Europa die notwendige Betriebsgröße", sagte Oettinger in einer Grundsatzrede heute (Montag) bei der Europäischen Bewegung Deutschland in Berlin. Als Beispiele nannte der Energiekommissar den Klimaschutz, den Zugang zu Rohstoffen, die Gestaltung von Standards und Normen in der Wirtschaft ebenso wie die Energieinfrastruktur. "Auch wer sich gegen nicht rechtstaatliche Abhörung wehren will, das ist in diesen Tagen besonders aktuell, der muss dies europäisch tun."
Bei der Weiterentwicklung der Europäischen Union komme Deutschland eine Führungsrolle zu. "Wir haben besondere Verantwortung für das Gelingen der europäischen Idee. Man kann nur hoffen, dass uns die Kraft dazu nicht abhanden kommt", sagte Oettinger. Zwar werde auf keinem anderen Kontinent der Welt über Staaten-, Kultur- und Sprachengrenzen hinweg so kooperiert wie in Europa. Ebenso zeige der Beitritt Kroatiens die Aktualität Europas als Friedensidee. Nach wie vor bilde die Europäische Union den größten Binnenmarkt der Welt, von dem besonders Deutschland mit seinen Exportüberschüssen profitiere.
"Aber Europa hat sich zum ökonomischen Sorgenkind der Welt entwickelt", sagte Oettinger. Das im Jahr 2000 in Lissabon verabschiedete Ziel, die EU zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen, habe die EU weit verfehlt. "Die Bilanz, wenn man sie zöge, fiele peinlich aus. Wir sind von Wettbewerbsfähigkeit weit entfernt." Auch den Deutschen warnte er davor, nur auf andere Länder zu zeigen. "Unser Nachteil heißt Demografie. Wir Deutschen sind im Schnitt 44 Jahre alt, in der EU insgesamt liegt der Schnitt bei 40 Jahren, bei unserem Nachbarn Türkei sind die Menschen im Schnitt 29 Jahre jung."
In der wirtschaftspolitischen Koordinierung in der EU komme der Kommission nun eine zentrale Rolle zu. "Doch kaum wird es kritisch, verwahrt man sich gegen Einmischung", sagte Oettinger mit Verweis unter anderem auf Frankreich, das sich die Reformvorschläge in den länderspezifischen Empfehlungen der Kommission verbeten hatte. Die europäischen Institutionen nahm er von der Kritik nicht aus: "Wir kümmern uns um alles ein bisschen, um vieles zu viel und um die wirklich wichtigen Dinge zu wenig". Die Zeit für eine große Vertragsreform sieht Oettinger aber noch nicht gekommen. "Nach der Europawahl glaube ich nicht, dass ein Konvent eine schnelle Lösung bringen kann. In der aktuellen Lage wird es schwierig, für eine Vertragsreform in 28 Staaten eine Mehrheit zu bekommen. Diese Krise müssen wir durchlaufen mit der bestehenden Kompetenzordnung. Jetzt müssen wir erst dafür sorgen, dass wir Wachstum bekommen, dass junge Menschen in den Arbeitsmarkt integriert werden."